„Wir sind das (total überwachte) Volk.“

An der innerdeutschen Grenze musste man als Bürger der DDR um sein Leben fürchten. Es gab keine freien Wahlen. Und die Stasi infiltrierte das Leben aller, nach Kräften.

Der kalte Krieg ist vorbei – auch wenn ihn die USA zu ihren Gunsten gern wieder zu entzünden versucht, und mit ihm sind die Selbstschussanlagen und Volkspolizisten, Minen und Schäferhunde, Stacheldrahtzäune und Mauer Geschichte. Freie Wahlen sind ebenso gewährleistet, dennoch gehen nur jeder 2. bis drei unter zehn zu den jeweiligen Kommunal-, Landes-, Bundes und Europawahlen. Doch eines hat sich nicht geändert, wenngleich es gern behauptet wird: Das wiedervereinte Deutschland unterliegt totaler Überwachung. Technisch gesehen sogar weitaus fortgeschrittener, juristisch filigraner, und die Privatsphäre vollautomatisch infiltrierend. Von den meisten Maßnahmen bekommen wir nie etwas mit oder interessieren uns zum Teil auch nicht dafür. Denjenigen letztgenannten spricht aus dem Herzen, das niemand etwas zu befürchten habe, der nichts unrechtes vorhabe. Natürlich hätten die Internetsperren seinerzeit nur gegen Kinderpornographie eingesetzt werden sollen, und dagegen kann man nichts haben. Und Vorratsdatenspeicherung nur gegen Kriminelle, und die will schließlich jeder hinter Schloss und Riegel sehen. Mit Hilfe der Bestandsdatenauskunft wieder könnten nur autorisierte Behörden Sachverhalte mit Personendaten unterfüttern, für ansonsten nur pseudo-anonyme IP-Adressen vorlägen, gegen die nicht ermittelt werden könnte. Dank Funkzellenabfrage können endlich alle Teilnehmer einer Demonstration ermittelt werden, auch wenn man hier zufällig in die Rasterfahndungsmethode hinein gerät, hat man natürlich nur etwas zu befürchten wenn man Dreck am Stecken hat. Für Passagierdaten, in denen per Datamining Muster entdeckt werden können, die dazu führen das Passagiere die bei einem Flug mit einem der Unterstützung des Terrorismus peripher verdächtigen gleich unter den selben Verdacht untersucht werden.

Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Manchmal kommt es auch dazu, das die Kritik an einem die subjektive Sicherheit befördernden Gesetz dieses kippt. Oder das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof kassiert eines der vielen Vorhaben jener Sicherheitsfanatiker, die dann lauthals Hilfe rufen. So wie in diesem Fall:

das heutige Urteil zur #VDS ist wie ein Feiertag für das organisiertes Verbrechen

— Marco Wanderwitz (@wanderwitz) April 8, 2014

Da hat der EUGH kurzerhand die VDS für gesetzwidrig erklärt. Angesichts des harten Ton des obigen Tweet dürfte es sich um eine spontane Reaktion gehandelt haben. Das Statement fernab der offiziellen Sprachregelung der Innen- und Sicherheitspolitiker zeigt aber deutlich wes Geistes Kind die an solcherlei Gesetzen interessierten Politiker sind. Sie interessiert nicht was oberste Richter entscheiden oder was Umfragen zufolge 80 Prozent der Bevölkerung ablehnt. Ihnen geht es allein darum euer aller Privatsphäre infiltrieren zu lassen, um wegen Bagatelldelikten oder im besten Fall mal einer singulären schweren Straftat Indizien einzusammeln, für die ausweislich der Erkenntnis der Sicherheitsbehörden selbst die Ermittlung der Daten in den seltensten Fällen eine Rolle spielt. Auf Kosten dieses wie ein paar Hand voll anderer „Experten“ für innere „Sicherheit“ werden 80 Millionen Profile angelegt, die aus den verschiedensten Werkzeugen zusammengetragen werden. Mit den Mitteln und Methoden, die wir heute für die Verfolgung digitaler Spuren ausgeben, hätte die Stasi seinerzeit einen Staat installieren können, den die Bevölkerung nimmer hätte deinstallieren können. Lang bevor noch eine signifikante Zahl Demonstranten auf die Straße geht weiß der Sicherheitsapparat inzwischen schon wo sich demnächst viele Menschen zusammentun. Und wenn die heutigen Akteure auch noch keinen oder noch keinen wahrnehmbaren Nutzen daraus ziehen, wird der Tag kommen an dem die Versuchung, mit den Mitteln eines repressiven Staates umzugehen.

Wer behauptet, mit Hilfe dieses und jenes Werkzeuges könne kein repressiver Staat gemacht werden, verharmlost die Sicherheitsgesetzgebung der letzten Jahrzehnte. Mit den Methoden der Staatssicherheit, Überwachung 1:1, mit organischen Augen und Ohren, bei den weitgehend automatisierten Datenbeständen und -werkzeugen, von denen die Vorratsdatenspeicherung nur eine ist, entstehen Metadaten, die eine Auswahl der Zielpersonen erleichtert, die dann graduell immer schärferer Überwachung bis zur aus der DDR bekannten Totalüberwachung ausgesetzt werden. Allein ein Tweet hat mehr als maximal Zeichen möglich sind. Mit den zur Verfügung stehenden Werkzeugen lassen sich über die Verkehrsdaten aussagekräftige Verknüpfungen ermöglichen, die eine tiefer gehende Ermittlung jedem Richter schmackhaft machen. So wird aus reinen Metadaten im richtigen Raster schnell Inhaltsdaten von denen behauptet wurde das sie nie gespeichert würden. Erst kürzlich gab Vodafone immerhin zu das sie eine Infrastruktur schaffen mussten, die vollumfängliche Zugriffe auf Telefonanschlüsse erlauben. Und so werden im Wege des Verfahrens aus unbeteiligten Dritten erstklassige Fahndungsfälle.

Besonders bedauerlich finde ich im übrigen, das meine SPD-Bundestagsfraktion das zwar als „Sieg für die Grundrechte“ ausgerufen hat, aber zeitgleich in einer so genannten „Berliner Erklärung“ das selbe Fahndungsmittel sofort wieder auf die Wunschliste gesetzt wurde. Wir (oder genau genommen ein paar Pappnasen, die in der Union besser aufgehoben wären, weil sie im Geiste genau so stockkonservativ wie etwa Erika Steinbach sind) tun doch nur den Job der Union, die jeher gern so Dinge fordert wie die „Bundeswehr im Innern“. Diese Pfeifen glauben allen Ernstes, indem sie für „uns“ ein Thema besetzen, bei dem Konservative jeher hohe Kompetenzwerte haben, könnten sie deren abbauen. Dabei spielen sie ihnen nur in die Hände, schließlich muss man sich dann den Vorwurf gefallen lassen, wir unterschieden uns ja gar nicht mehr von der Union. Und schon sitzen Union und SPD in der Falle in der Konservative und Demokraten in den USA sich befinden: Wählen geht nur wer eine Wahl hat. Das muss es gewesen sein, was Sigmar Gabriel letztes Jahr gemeint hat, als er all das auf dem Parteitag zur Chefsache ernannt hat und schließlich auch als Ressort zugeschnitten bekam. Nun stehen da seine Innenpolitiker und stimmen im Chor mit der Union in die Befürwortung eines von den Bürgerinnen und Bürgern verschmähten und von der Justiz verbotenen Vorratsdatenspeicherung ein. Klar, Sigmar und seine innenpolitische Speichellecker beteuern die Vorratsdatenspeicherung nur im rechtssicheren Rahmen zu definieren, und auch bei der Union einige behaupten die geschaffenen Anforderungen an die Vorratsdatenspeicherung erfüllen zu wollen. Aber dafür gibt es nicht einmal mehr europäisches Recht. Die Rechtsgrundlage auf der man fast ein Jahrzehnt argumentiert hat, hat sich von heute auf Morgen in Luft aufgelöst. Man sollte die Forderungen daran anknüpfen lassen, anstatt sie wieder aufzuwärmen.

Hierzulande fällt selbst mir die immer schwerer, mich zwischen Konservativen und Demokraten, pardon Union und neokonservativen Grünen einerseits und den verschiedenen Flügeln der SPD, die so zur Wahl stehen, zu entscheiden. Umso leichter verstehe ich inzwischen Nichtwähler.

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