Retrospektive #6 Jahrgang 1
Seit der letzten Ausgabe meiner Retrospektive sind sechs Monate vergangen, deshalb liegt manche Neuigkeit schon ein wenig zurück. Doch in meiner Restrospektive lege ich ohnehin mehr Wert auf Skuriles, insofern werdet Ihr nicht enttäuscht. Viel Vergnügen!
Ausländisch hetzen guten Deutschen erlaubt
Wer hätte das gedacht, rechtsradikale Hetze in fremder Sprache geht straffrei aus. Dumm nur, das der Neonazi an sich seit Jahrzehnten peinlichst genau darauf achtet, keine Anglizismen zu verwenden und sogar im durchweg englischsprachig formulierten Propagandainstrument Internet für jeden Begriff eine Neu-Deutsche Formulierung bereit hält1. Jubel hierüber vom rechten Rand, »Leitsprüche in Feindsprache nicht grundsätzlich strafbar« las man dort. Dumm gelaufen, liebes braunes Gesindel.
Italien zwischen Demokratie oder Diktatur
Der Deutschen liebes Reiseland Italien gerät nach der Wiederwahl von Silvio Berlusconi wieder ein weiteres Stück in Richtung Diktatur abzugleiten. Während manch andere ähnliche Verfassungsänderung hohe Wellen schlug, war die Reaktion auf die neuerliche Machtergreifung in Italien weitestgehend harmlos von den Medien begleitet worden. Doch nicht nur um die Vielfalt innerhalb der Regierung ist es in Berlusconien schlecht bestellt: Drei von sieben nationale Fernsehsender gehören Staatschef Berlusconi, drei weitere werden vom Staat kontrolliert, alle relevanten Presseerzeugnisse werden vom Staat finanziert. Italiens Blogger müssen nun, den Plänen der amtierenden Regierung zur folge, ihre publizistische Tätigkeit anmelden.
Jetzt wird mir klar, warum sich Merkel mit Berlusconi so gut versteht.
Klopapier Zeichen systemischer Überlegenheit?
Kuba geht das Toilettenpapier aus. Meine Frau erzählte mir daraufhin, das sie bei ihrem ersten Besuch im wiedervereinigten Berlin auch Probleme hatte, Toilettenpapier aufzutreiben. Beides möchte ich jetzt nicht als Systemkritik verstanden wissen, sondern einfach mal zum Vergleich anführen, das unser ach so überlegenes kapitalistisches System sich derzeit wieder 7 Milliarden bedient, das unsere Regierung gerade wie Toilettenpapier aus der nie enden wollenden Steuer- und Schuldentrommel abrollt.
Komfortabel ist auch das Gejammer einer kubanischen Bloggerin über Beimengungen im knappen Gut Kaffee, wenn man sich die jüngsten Schlagzeilen zu Analog-Käse und Gel-Schinken anschaut. Gejammer auf hohem Niveau oder vom hohen Ross eben.
Ich könnte kotzen.
Obama und Sarkozy: Schürzenjäger?
Bilder sagen mehr als tausend Worte, sagt man. Wahr sein müssen sie noch lange nicht. Nachdem ein Bild für Aufsehen sorgte, auf dem der frisch verheiratete Französische Präsident Sarkozy scheinbar den glücklich verheirateten US-Präsidenten Barack Obama grinsend dabei beobachtet, wie dieser einer jungen Frau hinterher sieht, weist ein Video der Gelegenheit eine ganz andere Interpretation auf.
„Giftmüll macht schlank“
Provokanter Titel, explosiver Inhalt: John Stauber & Sheldon Rampton „Giftmüll macht schlank“, Peter M. vom Konsumpf hat eine Buchbesprechung bereitgestellt, hierzu hat er sich alle zwölf Kapitel eines schon als Klassiker zu bezeichnenden Draufsicht auf das Geschäft mit der gelenkten öffentlichen Wahrnehmung reingetan. Gerade heraufziehende Weltwirtschaftskrise ist Grund genug auch mal wieder ein gutes Buch in die Hand zu nehmen und mehr über die Täter fernab der Bankentürme und Parteizentralen zu verstehen.
Anonyme Uniformierte
Niemand kann behaupten, von Die Linke kämen keine guten Ideen: Jan Korte hat angeregt, das Polizisten bei Demonstrationen fortan ihre Dienstnummer auf den Uniformen tragen sollen, womit insbesondere nach Demonstrationen gewaltbereite Polizisten nicht in der Anonymität ihrer Ausstattung untergehen können, die ihnen die Möglichkeit gibt sich komplett zu vermummen, wogegen in Deutschland eigentlich ein Verbot existiert. Teilnehmer von Demonstrationen gegen Rechts zum Beispiel, zu denen auch ganz durchschnittlich engagierte Demokraten gehören, werden von der von Polizeikräften ausgehenden Drohkulisse bis hin zu gewalttätigen Übergriffen inzwischen derart abgeschreckt, das ihre Teilnahme an Demonstrationen dort endet, wo das Aufgebot der Polizei von dem der gewaltbereite linken Szenerie kaum noch unterscheidet.
Twitterer stalked
Tweets sind bis zu 140 Zeichen lang, Twitter aber nicht nur eine reine Textwüste. Verschiedene Clients erlauben Geotagging, können also genau veröffentlichen, wo sich der Autor gerade aufhält. John Chow verlinkt ein Video, das die Reisen verschiedener Twitterer verfolgt, und eine kurzweilige Animation derer auf einer Satelittenkarte wiedergibt.
weitere Empfehlungen
- Deutsche Hoster gehen businessplanlos in die Kostenfalle: 89 Euro-Cent Hosting und Registrierung der Domain
- Aufgrund der rasanten Entwicklung der Finanzmarktkrise sollte man sich die Bankenpleiten geographisch veranschaulichen, um weiterhin den Überblick zu wahren.
- Abwracken einmal anders: New York versenkt seine Subs, so werden aus U-Bahnen keine U-Boote, sondern künstliche Riffe.
- Der BND (Abk. f. Bananenrepulikanischer Nachrichtendienst) meint, wer erfolgreich Außenhandel betreibt, ist generell verdächtig.
- Nachdem die INSM in letzter Zeit ohnehin keine guten Schlagzeilen mehr produziert, scheint sie jetzt unter die Komiker zu gehen: Konkrete Losungen zur Finanzkrise werden von den Vorbetern absoluter Deregulierung angeboten – unfreiwillig allerdings, weil Umlaute von der verwendeten Software umgesetzt wird.
- Kajo Wasserhövel zitiert Ford »Autos bauen keine Autos«, und mir wird klar woher Rambo sein Zitat (~: »Nicht Waffen töten Menschen, Menschen töten Menschen.«) hatte.
- Wer angesichts "drögen Auftretens" der Sprecher denkt, bei der Tagesschau kenne man keinen Humor, der lese einmal deren Einschätzung zum Konjunkturprogramm für die Bundeswehr. Traurig genug, all die schlechten Nachrichten rund um unsere Wirtschaft, und die noch schlechteren Gegenmaßnahmen von Regierung und verschlimmbessernde Kritik aus der Opposition. Doch wer in solchen Zeiten den Humor verliert, wird daraus nicht gesundet hervor gehen. Insofern empfehle ich auch nochmal meine Witze zur Wirtschaftskrise.
- Nachdem der unsägliche Bush endlich Geschichte ist, kommen immer neue Geheimnisse ans Tageslicht: CIA-Geheimgefängnisse von Frankfurt am Main aus geplant, wegen der politischen Brisanz – für CIA und USA versteht sich, nicht für "old europe".
- Nein, der Typ nebenan sieht nicht die 3D-Fassung: Wenn jemand im Kino mit einer merkwürdig ausschauenden Maske trägt, ist das wahrscheinlich jemand von Warner Bros mit Nachtsichtgerät.
- Mitte des 19 Jahrhunderts begannen Verleger ihre Erzeugnisse mit Werbung zu versehen, 150 Jahre später wissen sie nicht weiter. Meinungen und “Product Placement” garnieren Berichterstattung nicht mehr nur, sondern sind meist ihre einzigen Bestandteile. Quintessenz: Natürlich verlieren mit Werbung überfrachtete, zumeist ihre eigene Meinung bildende Mainstream-Medien Leser, eben jene die nicht an der "ketzerischer" Unterhaltung und künstlicher Aufregung, sondern investigativem Journalismus interessiert sind. Die aktuelle Diskussion um Qualität im Journalismus und kostenpflichtige Inhalte ist überflüssig, solang sich daran nichts in den Redaktionen ändert. Wenn ich mir die Print-Ausgabe des Spiegel kaufe und zunächst einmal drei Seiten Werbung und ein als Editorial getarntes, nicht als Anzeige erkennbare versteckte Werbung entgegen kommt, ganz zu schweigen von der vorne eingelegten Werbebeilage, dann verliere ich die Lust an der Lektüre.
- Der Wahnsinn im Nationalsozialismus kannte keine Grenzen, so projektierte man sogar Stealth Fighter im Dritten Reich.
- Island ist wenig amüsiert: CSU missbilligt Beitritt Island zur Europäischen Union und bestätigen: Bayerische Freistaatler sind eine ganz spezielle Sorte Aussenpolitiker, so viel steht fest.
- Je älter, desto CDU.
- Der Vorsitzender der JuPi2 ist bei der Lektüre einiger Nachrichten ein zynischer Vergleich ins Auge gefallen: Während »above the fold« in der ersten Schlagzeile mit 80.000 US-$ pro Download Angst verbreitet wird, wird viel weiter unten die Entschädigung von Hinterbliebenen des kürzlich verunglückten Air France-Fluges erwähnt, mit 24.000 US-$ fast nur ein Viertel Download wert. Natürlich sind beide Zahlen nicht direkt miteinandern zu vergleichen, doch diese missglückte Aufreihung beweist wie wenig Fingerspitzengefühl auch bei den Nachrichtenportalen vorhanden ist – eine letzte Seite wie im Spiegel oder das Bildblog hierfür gibt es hingegen meines Wissens noch nicht.
- Lese immer wieder Russland-Deutsche.
- Lobbyismus anschaulich und unterhaltsam präsentiert – von Sascha Lobo, bei arte.tv.
- Öffentlichkeitsarbeit findet bei der Bundeswehr auch mittels eines Magazins statt, das in einer seiner jüngsten Ausgaben Bericht über Thermobarische Waffen einem anderen zur Kinderhilfe: Lachen Helfen e.V. gegenüber stellt. Der Redaktion scheint die Sensibilität zu fehlen, zu erkennen das hunderttausende tote Zivilisten in Afghanistan, darunter zahllose Kinder und Jugendliche, in einem Atemzug mit der neuesten Waffentechnologie genannt vielleicht kein Glücksgriff sein könnte.
- Folgende Nachrichten weisen überigens keinen Zusammenhang auf: Toter am Woog gefunden. Weniger Freibadbesucher. Wenn wir schon mal bei politisch korrekter Berichterstattung sind 😉
- Bei der Lektüre des Wikipedia-Artikels zum »Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes« kommen mir immer wieder zwei Stichworte in den Kopf: überflüssige Gesetze und vergeblicher Bürokratieabbau.
- Neue Geschäftsordnung im Bundestag: Rede ist Silber, Schweigen ist Gold. Tatsächlich drängt sich mir inzwischen der Gedanke auf, das unsere Politiker ihr Tagwerk immer weiter aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschieben in Ausschusssitzungen, Lobbyistenveranstaltungen und Hinterzimmer verschieben. Meine Meinung: Demokratie unwürdig.
- Compuserve geht offline, und damit mein erster kommerzieller Internetprovider. Damals verwandte ich noch NCSA Mosaic, der Browser der später technische Grundlage der Rendering Engine des Internet Explorer bis zur 3. Generation werden sollte. Apropos: BTX-Werbung bei YouTube gefunden, dem textbasierten Onlinedienst der Deutschen Bundespost bei dem meine ersten Schritte online machte.
- Atomstrom für Autostrom: RWE plant Kampagne für Elektrotankstellen
- Viel "Zeit" hätten sich Leser eines ganzseitigen Streitgesprächs zwischen Hans-Werner “Senkt sie tiefer!” Sinn und Sahra “Hängt sie höher!” Wagenknecht in "Die Zeit" sparen können, hätten sie auf die Rezension dessen bei weissgarnix.de gewartet hätten. Aber hey, nichts ist älter als die Zeitung von gestern.
- Mit Erleichterung hat man beim Basic Thinking Blog festgestellt das Blogs endlich wahrgenommen werden, und natürlich wird von den klassischen Holz- und Mainstream-Medien nur in Ausnahmefällen Quelle und Ideengeber zurückverlinkt.
- 4 Millionen Waffenbesitzer, 10 Millionen Handfeuerwaffen, neulich saß mir ein solcher Kandidat während meiner ersten Zeitrafferaufnahme für zwei Stunden im Nacken und ich hatte nicht den Eindruck, das der seine Waffe zu Hause aufbewahren sollte. Dumm nur, Schäuble ist gegen schärfere Waffengesetze und für restriktivere Handhabung sogenannter Killerspiele.
Retrospektive ist mein neues Format für all das, wofür ich keine Zeit hatte, aber was unter gar keinen Umständen unkommentiert bleiben darf. Retrospektive erscheint in loser Folge, zu willkürlichen Zeitpunkten, ein Anspruch auf eine Retrospektive entsteht dem Leser hierdurch nicht. 😉
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