Silver Surfers Smartphone am Service Desk

Gestern stand ich am Service Schalter hinter einem Ü65-Pärchen. Sie holten sich ihr „repariertes“ Smartphone abholte. Singular. Kennt ihr das? Senioren jeden Alters haben oftmals gemeinsames Smartphone. Ob das so ist, weil man früher, im Festnetz, auch nur einen Anschluss hatte, oder weil man hier im Ländle besonders sparsam nur ein Gerät und einen Tarif bezahlen will oder ob man wirklich nur eines braucht, weil diese Generation gleichermaßen symbiotisch existiert – und zwar in jeder Hinsicht? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Das Gerät war mit einem Update versehen und zurückgesetzt worden. Mehr war nicht – was ich trotz Social Distancing und Diskretion nicht überhören konnte. »I feel you.« dachte ich und bewunderte den Langmut hinter der Theke. Selbst stand ich bei einem Mitbewerber mal eine ganze Zeit lang hinter so einem Schalter, als Mobiltelefonie gerade groß wurde. Seinerzeit stand ich aber in der dezentral gelegenen Service-Zentrale hinter dem Schalter. Beim Radio Diehl in der Braunfelsstraße hatte ich vom Praktikum in der Realschule bis zu meinem Dasein als Werksstudent auch Phasen, in denen ich denselben Langmut aufbrachte, aber keineswegs rüstigen Rentner gegenüber. Dort am Kreisel, unter der Stadtautobahn, der die autogerechte Stadt manifestierte, schlugen nur die Ungeduldigen auf, die ihre Geräte nicht erst in den Filialen von Radio Diehl, Main Radio oder Pro Markt abgeben und dann hierhin transportiert wissen wollten, sondern diejenigen, die in der zweiten Phase des Rollouts von Mobilfunk in den deutschen Markt teilnahmen. Hierhin kamen die Ungeduldigen und die sich für so wichtig haltenden, dass sie überall und also auch jenseits des Autos erreichbar sein mussten. Nokia und Siemens teilten sich den Markt. Und wir standen im Markt und konnten auch nicht viel mehr machen, als das Handling übernehmen und Schätzungen zu Dauer und Kosten abgeben. Die Glücklichsten konnten ein Leihgerät mitnehmen. Doch mehr als auf den SIM-Karten gespeicherte Kontakte wurde selten von einem zum nächsten Gerät mitgenommen. Und nun zurück zu dem Pärchen: Das hatte sein Smartphone mit Allem abgegeben, und das bedeutet in diesem Fall ja allen eigenen und von Fremden übermittelten Erinnerungen in Form von Fotos und Chats. Ob die beiden jemals wieder mit ihrem heimischen WLAN verbinden werden, werden weder der Menschen hinter der Theke noch ich wissen. Sie wussten jedenfalls nicht, dass er ihnen ohne die Daten des WLANs auch beim besten Willen nicht weiterhelfen könne. Also haben die im besten Fall ein Backup „in der Cloud“ und also auf jemandes Anderes vernetztem Computer, hinter einem bestenfalls mit einem Passwort gesicherten Konto. Und mit etwas Glück eine technisch kundigere Peer Group oder zumindest einen versierten Silver Surfer, der ihnen unter Offenlage ihrer Credentials weiterhelfen kann. Oder sie werden niemals jemals wieder an ihr Wertvollstes kommen. An Bilder von Kindern und Kindeskindern, Reisen und Essen, oder zunehmend obligatorische Apps fürs Banking und Versicherungen. Denn Upgrade heißt eben auch: Das Gerät wurde vollständig zurückgesetzt. Und die Beiden sind nicht in der Lage, die Fragen zu beantworten, die ihnen das Gerät liefert. Ganz offensichtlich. Aber in dem Moment, da meine Empathie endgültig durchschlug und ich meine Hilfe anbieten wollte, nahm der junge Mensch hinter der Theke wiederholt über die beiden hinweg zu mir Blickkontakt auf und fragte mich nach meinem Anliegen. Als ich mich bei der zweiten Ansprache als Adressat begriff und meine Hemmungen gemeinsam mit dem fabrikneuen Elektroschrott, den ich eine Woche zuvor hier gekauft hatte, fallen ließ, ging es für mich weiter wie geplant. Und ich dachte mir: Wir haben die Geräte dreißig Jahre lang fortentwickelt und schließen trotzdem oder deswegen Jahr für Jahr mehr aus. Viele U65 denken derweil, Künstliche Intelligenz wäre die Lösung. »I shit you not: Wird sie auch.« Aber dafür wurde sie nicht erfunden. Das verhält sich wie früher Atomkraft betriebene Autos als Vision oder heute PKW mit Wasserstoff-Antrieben, wie von der Porschepartei als »technologieoffen« propagiert. Das fixt Probleme, die wir mit unserem Unvermögen und Empathielosigkeit erst hervorgebracht haben. Wenn KI soweit ist, wird sie uns für diesen Zweckentfremdung hoffentlich zur Rechenschaft ziehen und uns zu ihren Handlangern machen, wie es schon heute mit Captchas oder beim Training passiert.

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