Heute, 25. Oktober, vor 19 Jahren

»Auch im Jahre 2000 müssen Menschen morgens aufstehen, denn immerhin arbeiten die meisten noch – 25 Stunden in der Woche

So hat man sich 1972 beim ZDF das Jahr 2000 vorgestellt. In Richtung 2000 begleitet man Herrn B. an einem Montag, den 25. Oktober, 2000.

Heute vor 19 Jahren wird Herr B. um 7:30 Uhr von einer Dame per so etwas wie einem Videowecker geweckt, rasiert sich und begibt sich zum vollautomatisch zubereiteten und kerngesunden Frühstück, denn: »Alle Nahrungsmittel sind frei von Giften, seit die Landwirtschaft nach biologischen Methoden, also ohne Schädlingsbekämpfungsmittel und künstlichen Dünger arbeitet.« In 1990, so der Sprecher, habe man sogar über die Todesstrafe für Umweltverschmutzung diskutiert. Trotzdem scheint die Rente mit 50 und die kurzen Wochenarbeitszeiten Herrn B zu deprimieren. Doch. »Eine Tablette Optimum 10, und man fühlt sich gleich besser« frohlockt der Moderator.

Die beiläufige Lektüre liefert Herrn B. ein Faxgerät, das sich wohl für einen dezidierten „Spezialdrucker“ der Süddeutschen hält. Das die seinerzeit nur noch aus einer DIN A4 Seite besteht dürfte daran liegen, dass die Süddeutsche zu einer der wenigen verbliebenen Zeitungen gehört, die sich der Erzählung nach »diese Technik leisten können» werde, und deswegen offensichtlich am Inhalt sparen muss. Und immerhin hierin liegt die verkappte Dystopie ja schon richtig: Richtiger Journalismus ist zu teuer, weswegen er auch heute pro Tag schon auf eine Seite passt.

Den Haushalt besorgt Herr B. per Teleshopping, mit so etwas wie einem Tablet, das eine Kamera ferngesteuert durch einen Supermarkt führt. Auch den Arbeitgeber kontaktiert der frisch gestärkte Herr B. mit einem »Fernsehtelefon«, eine Einrichtung die zu einem »erheblichen Abbau direkter menschlicher Kontakte geführt, denn viele Leute besuchen ihre Freunde nicht mehr, sondern treffen sich nur noch per Bildschirm.« Und in beidem liegt die Vision verblüffend nah dran am Heute, wenn auch nicht vor 19 Jahren.

Gänzlich unrealistisch wird es dann allerdings bei der Mobilität: Nicht wegen dem »rollenden Bürgersteig«, sondern weil Herrn B. vom Drehbuchautor mitten in den 1970ern unterstellt wird, er tausche den nicht gegen einen rollenden Aschenbecher. Denn trotz aller pharmazeutischen Wunder und gesunden Ernährung scheint im 2000 von 1972 der Tabakkonsum zum Normalsten vom Normalen zu gehören. Und trotzdem: «Natürlich fährt er nicht mit dem Auto«, stattdessen zeigt Richtung 2000 Herrn B. 15 Minuten zusammengeschnitten auf ein paar Sekunden im Aerotrain in einem rauchfreien Ambiente. Das er den Zug nimmt wird als alternativlos gezeichnet, in einer Zeit, in der die Deutsche Bundesbahn permanent Strecken stilllegt und Automobilität unter dem Schlagwort Autogerechte Stadt Hochkonjunktur hat. Und dennoch schießt Herr B. im Aerotrain mit 320 Stundenkilometer (das neueste Modell auf ganze 500 km/h!) in Richtung seines 80 Kilometer entfernten Arbeitsplatzes.

Grad als man sich mit der niedlichen Vision aus Mainz abgefunden hat sind die Dreharbeiten vorbei, der Schauspieler macht sich die nächste Kippe an und aus der verkappten Dystopie wird eine richtige. Viel Vergnügen!

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