Die wechselnde Mehrheiten

Kommunalwahl in Darmstadt hieß anno dazumal 2006 immerhin noch zweitstärkste Kraft hinter der anderen Volkspartei zu sein. Im Grunde hatte die SPD also schon damals nicht den Auftrag zur Regierungsbildung. Aber mit der Darmstädter CDU wollte auch keiner so recht, jedenfalls nicht vordergründig. Wer wollte es ihr also übelnehmen, dass sie sich darum bemühte an der Regierung zu bleiben. Darmstadt jedenfalls nicht, schließlich hatten die Darmstädter sich zu fast gleichen Teilen für die CDU und die SPD entschieden und damit ganz offenbar den an der Regierung beteiligten Grünen damals noch nicht ihr Vertrauen geschenkt. Also fasste sich Wolfgang Glenz, seinerzeit Parteivorsitzender, und eine Hand voll dazu ausersehener und auserkorene Genossen ein Herz und redeten gemeinsam mit Vertretern des damaligen Juniorpartners mit den sonst noch so im Stadtparlament vertretenen und in Frage kommenden Parteien. Heraus kam, was für die SPD Darmstadt ein Novum war: wechselnde Mehrheiten. Mehrheitsbeschluss der Delegierten der Darmstädter SPD war tatsächlich ein Verhandlungsmandat, das der Parteispitze nach der Kommunalwahl 2006 erlaubte, eine Regierungsbildung unter Einbeziehung sachbezogener Kompromisse zu verhandeln. Mit anderen Worten: Wolfgang Glenz und seine Verhandlungsgruppe bekam das Plazet mit Uffbasse über Rot-Grün als Minderheitsregierung zu verhandeln. Mit diesem an dem einen Tag basisdemokratisch herbeigeführten Mandat ausgestattet ging Wolfgang Glenz und seine Verhandlungsgruppe stattdessen schnurstracks zu den so genannten Freien Demokraten. Anstatt das Votum der Darmstädter Genossen für wechselnde Mehrheiten ernst zu nehmen trat der streitbare Kämmerer also binnen 24 Stunden in Verhandlungen ein, die etwas ganz anderes zum Ziel hatten. Damals argumentierte Glenz, die ihm das Wort redeten und sie ihm einflüsterten, Darmstadt wolle eine stabile Regierung, und keine wechselnden Mehrheiten. Glenz entschied sich gegen Uffbasse und für die FDP, und also gegen die Grünen, denen wechselnden Mehrheiten eher zusagte als eine willfährige FDP, deren einzige Inhalte aus dem Verkehrsbild der Industrie und Handelskammer Darmstadt abzuleiten war: »Hauptsache die Nordostumgehung wird gebaut!« ließen die nämlich in den Koalitionsvertrag schreiben. Und genau daran scheiterte nicht nur die Ampelkoalition, sondern jede weitere Wahl seither. Mit wechselnden Mehrheiten hätte es ganz gewiss keine Nordostumgehung gegeben. Mit einer einstelligen FDP aber auch nicht. So oder so wäre es nie zu Darmstadt 21 gekommen, Bürgerentscheid hin oder her. Und so kam es wie es kommen musste. Gerade wenige Wochen vor der Wahl wurden die letzten Reliquien der Planung zu N59 von den Grünen zu Grabe getragen, argumentativ untermauert von einer zwar von den Grünen bestellten aber parteilosen Baustadträtin. Das entsprechende Presseecho hierzu und die künstlich aufgebauschten Gerüchte um ihren Wegzug erinnerten die Darmstädter Wählerinnen und Wähler unfreiwillig daran, wie sich das rot-grüne Projekt verabschiedete: mit wechselnden Mehrheiten, Mehrheitsverhältnissen nämlich, die 2011 erstmals dafür sorgte das sogar eine CDU wie die in Darmstadt in Amt und Würden gelangt. Und damit die Darmstädter Genossen den Wählerwillen unmissverständlich verstehen, haben die Darmstädter Wählerinnen und Wähler das Ergebnis so gestaltet, das eine andere Interpretation nur unter der Bedingung möglich ist, dass sie bei Fortsetzung der desaströsen Oppositionspolitik 2021 mit einem einstelligen Prozentwert zu rechnen hat. 2016 haben die Darmstädter schon dafür gesorgt, dass die Listenstimmen näher an dem einstimmigen als am vorangegangenen Wahlergebnis dran waren; es haben also anders ausgedrückt nur noch 5% zur Neun vorn gefehlt, während es 6% zur 21 gewesen wären. Die wechselnden Mehrheiten herbeizuführen und damit auch die Entscheidung der eigenen Genossen zu respektieren wäre wohl möglich doch keine so schlechte Idee gewesen. Wie muss es Schmerzen, das ausgerechnet diese Entscheidung von damals, die zwischen Uffbasse und FDP, heute die Grünen haben? Ich bin mir sicher sehr.

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