Konservative fantasieren über „Cyber-War“, laufende „Cyber-Angriffe“, und installieren ein „Cyber-Abwehrzentrum“
Konservative Leitkultur hat es erst möglich gemacht: Konservative können gleichzeitig das Internet verteufeln1, und zugleich seine Bedeutung für die nationale Sicherheit verherrlichen2. In den meisten Fällen tun sie das bar jeder Sachkenntnis, so eiwanleuchtend vorgeführt und anschaulich dokumentiert anlässlich jener traditionellen Konferenz in der Bayerischen Landeshauptstadt, die sich internationaler Sicherheit verschrieben hat, aber erst anno 2011 das Digitale auf ihre Agenda setzt: »Das Thema Cyberkriminalität war das erste Mal Thema der Münchner Sicherheitskonferenz.«
»Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte auf der Sicherheitskonferenz in München angesichts der jüngst rasch gestiegenen Zahl von Cyber-Angriffen ein internationales Abkommen gegen diese« las man da alarmierend. »Pro Tag verzeichnen wir vier, fünf Angriffe auf das Netz des Bundesregierung«, flankierte Karl de Maizière. Deshalb und weil »in der EU wir eine total zersplitterte Zuständigkeit« vorherrsche, plane man3 jetzt ein »Nationales Cyber-Abwehrzentrum« (wieder: Bundesinnenminister Thomas „Karl de Maizière“ de Maizière).
Wie ernst die totale Inkompetenz Lage wirklich ist, zeigt de Maizière Selbstbild, wiedergegeben in einer Presseerklärung der Bundesregierung, aber in der Presse so nicht wiedergegeben offenkundig durch Einstufung als „Propaganda ohne Nachrichtenwert“: »Wir sind da im internationalen Vergleich nicht schlecht aufgestellt. Schon vor 20 Jahren, und das war eine strategische Meisterleistung von Wolfgang Schäuble mit großer Weitsicht, hat die Bundesrepublik das BSI gegründet, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik.«
Hauptaugenmerk des Bundesamtes war für lange Zeit eine Technologie, ohne deren Hilfe das moderne Web nicht vollstellbar wäre: Man empfahl lange Zeit tatsächlich und ernsthaft, die Deutschen mögen JavaScript generell deaktivieren. Und so unausgegoren auch viele Angebote damals waren, so unqualifiziert war auch diese Empfehlung. Denn obschon es heute Sinn macht, nicht jedes Plugin zu installieren und auf jeder Website JavaScript (bzw. das inzwischen standardisierte ECMAScript) aktiviert zu haben: Was damals empfohlen wurde, war für jeden technisch versierten Menschen eine Lachnummer.
Dessen ungeachtet: Vor beinah dreißig Jahren gab es schon den weitaus versierteren Chaos Computer Club, mit seiner eigenen Sicherheitskonferenz, dem alljährlichen Congress im Zentrum von Berlin. Und dieser Tage, als wir den Unrechtsstaat DDR und den Terroranschlag 9/11 hinter uns sehen, wird urplötzlich das seit Jahrzehnten beherrschende Thema in Sachen Sicherheit zum Thema auf der „offiziellen“ Sicherheitskonferenz, und Karl de Mairière lobt seinen Vorvorvorvorvorgänger im Amt für seine „Weitsicht“, anstatt Versäumnisse in der Vergangenheit einzuräumen und endlich Maßnahmen zu ergreifen, mit der Fehler seiner Vorgänger im Amte endlich geheilt würden: Mehr in verteilte Infrastruktur investieren, anstatt Monopolisten zu hofieren. Mehr Bildung auch in frühem und hohem Alter ermöglichen, ob an staatlichen (Hoch-)Schulen, oder durch frei verfügbare Medien und freie Träger, gegebenenfalls mit Eigeninteressen.
Doch Deutschland hinkt hinterher, allem Vorurteil zum Trotz. Denn den vermeintlich in Sachen Sicherheit so kompetenten Konservativen ist Sicherheit auf Augenhöhe mit anderen Staaten, Gesellschaften und Organisationen egal. Wer per Hackerparagraph selbstbestimmte Experimentierfreude der Jugend bremst, und sie zugleich als „Killerspiele“ zockende Sonnenlichtmeider abqualifiziert, hemmt nicht nur deren Medienkompetenz, sondern entfremdet ganze Generationen von sich und der Materie zugleich. Wer das Internet mittels geheimer Listen zu filtern versucht, agiert nicht demokratischer als Diktaturen. Wer den Verlagen mit Subventionen per Leistungsschutzrecht unter die Arme greift, betreibt Protektionismus, hebelt den freien Markt aus und verhilft einem veralteten Medium zu vegetieren, während neue Medien und Medienmacher ausgebremst werden, deren Geschäftsmodelle eben nicht durch Steuergelder gestützt werden.
Diese Liste unqualifizierter Besitzstandswahrung einerseits und Internetinkompetenz andererseits ließe sich vermutlich noch gut fünfhundert Seiten lang fortsetzen, doch mit ihrer Aufzählung wäre nicht geholfen. Allen wäre geholfen, wenn unsere politischen Entscheidungsträger anhand ihrer Qualifikation gewählt würden und Entscheidungen träfen. Bevor das nicht eintritt, treten wir auf der Stelle.
Solang Cyber-Konservative wie Angela Merkel und über den „Cyber-War“ fantasieren, von laufenden „Cyber-Angriffe“ berichten und sich das Netz allenfalls ausdrucken lassen, und uns allein durch Einrichtung eines wie auch immer gearteten „nationalen (!) Cyber-Abwehrzentrum“ geschützt sehen lassen, stehen wir mit heruntergelassenen Hosen da. Lang geht das nicht mehr gut, denn während Schwellenländer beim Kopieren deutscher Ingenieurleistungen waren, dreht sich der Spieß bedrohlich schneller werdend um.
Das zeigt nicht zuletzt, das Hochtechnologie aus China inzwischen lieber unter eigenem Namen zu entwickeln und produzieren gedenkt, anstatt im Auftrag und Namen Dritter. „Made in China“ steht schon jetzt auf vielen Produkten, die wir im Alltag verwenden, bislang aber entstammen Patente hierzu überwiegen aus den ehemaligen Industrienationen. Das Blatt wendet sich, und Rüttgers ruft dem Wähler auf den Marktplätzen etwas „vom Chinesen“: Das sagt alles über den Zustand unserer Konservativen.
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