Freund und Wahlkampfhelfer, oder: Terrorwarnungen als Wahlkampfmittel
Der größte Terrorist im Land hat das Innenministerium in seiner Hand.
Zugegeben zugespitzt, meine Meinung zu unterbliebenen Anschlägen auf das Münchner Oktoberfest, massenhaft durchgeführte Verdacht-unabhängige Personenkontrollen vornehmlich an Menschen mit arabischem Äußerem, und eine Nation in größerer Angst vor El Kaida als den Auswirkungen der sich noch anbahnenden Wirtschaftskrise – dabei wird diese mehr Selbstmorde hervorrufen, als Terroristen in hundert Jahren in die Luft sprengen, verstrahlen oder vergiften können.
An Bahnhöfe, in S-Bahnen und an öffentlichen Plätzen patroulierten wenige Wochen und Tage vor der Wahl Bundespolizisten.
Spiralkopfhörer, Panzerwesten und Maschinenpistolen, Innenminister Schäuble lies seine Truppe mit dem gesamten Arsenal marschieren.
Gestern, heute, eine Woche nach der Bundestagswahl, hielt ich Ausschau. Zugegeben zu fortgeschrittener Stunde, doch Terrorismus macht laut Innenminister ja keinen Urlaub.
Nachdem ich mehrere große Runden sowohl durch die Bahnsteig- als auch durch die ehemalige Schalterhalle gedreht hatte stand fest: Spiralkopfhörer, Panzerwesten und Maschinenpistolen scheinen wieder aus der Mode gekommen, und die Terrorismusbekämpfung hat unmittelbar nach der Wahl für den Innenminister keine Priorität mehr.
Behauptet wurde vor der Wahl, jene an Deutschland gerichtete Videobotschaften sei Glauben zu schenken, Deutschland drohe Gefahr.
Nachdem am Tag nach der Wahl im schönen Bayern “Terroristen” von der Polizei einkassiert wurden, weil sie Videos hochgeladen hatten, und – nach zugegeben subjektiver Betrachtung – seit dem zweiten Tag nach der Wahl plötzlich die massive Polizeipräsenz nicht nur nachgelassen hat, sondern nahezu eingestellt wurde, muss sich unser Innenminister der Frage stellen:
Wenn keine konkrete Bedrohung vorliegt, und nur diffuse Drohungen anhand wirrer Videobotschaften subjektives Sicherheitsempfinden Millionen kosten, spielt Herr Minister dann nicht mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger und macht Wahlkampf auf Kosten der Steuerzahler und Schultern ohnehin schwer beschäftigter Polizisten?
Ich will doch hoffen, das der Minister diese Frage bejahen muss.
Andernfalls herrschen hier Zustände, die in den USA zu den Anschlägen vom 11. September 2001 geführt haben: Ahnungslosigkeit seitens der Fachpolitiker bis hinauf zum Minister, populistischer Aktionismus zu Gunsten subjektivem Sicherheitsempfinden, und eine schonungslos intransparente Öffentlichkeitsarbeit.
Nachdem der damalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George W. Bush, sämtliche Warnungen vor drohenden Anschlägen in den Wind schlug, schlugen Flugzeuge mit vollen Tanks im World Trade Center und in das Pentagon ein. Den Anschlägen folgte Vergeltung, der Vergeltung nicht enden wollende Kriege.
Hier scheint sich Geschichte verkehrtherum zu wiederholen: Indem mit Präventivmaßnahmen Wahlkampf gemacht und Angst geschürt wurde. Deutschlands oberster Terrorfahnder schien jedem lächerlichen Propagandavideo Gehör und Glauben zu schenken, anstatt wie Bush ernstzunehmende Warnungen vorbeiziehen zu lassen. Einerseits. Andererseits glaubt man hier noch, humanitäre Hilfe zu leisten, Brunnen zu bohren und Schülerinnen einen sicheren Schulweg zu gewährleisten, doch in Afghanistan herrscht schlicht Krieg.
Deutschland hat im Grunde die Kanzlerin gewählt, die in Opposition zu Gerhard Schröder nach Amerika reiste und im Krieg gegen den Terror bedingungslose Hilfe zusicherte – auch im und gegen den Irak.
Der Souverän entschied sich für eine Verlängerung der Amtszeit des Innenministers, dessen Leistungsbilanz vom Bundesverfassungsgericht ausgestellt wurde und der statt internationalem Terrorismus im Fadenkreuz nur Rückgrat gegenüber Unbescholtenen beweist.
Jetzt heißt es Daumen drücken und durchhalten, SchwarzGelb wird auch eine neue Epoche in der Außenpolitik nach 9/11 einleiten. Konservativer Leitkultur wird Einhalt geboten werden müssen, aus der Opposition heraus, aber auch vom Koalitionspartner. Liberale müssen beweisen, das ihnen Bürgerrechte und Friedenspolitik mehr Wert sind als Koalitionsfrieden und Ministerposten.
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