Leyenschauspiel: Fehler und Vermutungen statt Daten und Fakten zu Kinderpornographie und Internetsperren
Fehler und Vermutungen hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im fact sheet acces ! blocking zusammengetragen. Nicht ganz so offensichtlich, wie dieser Tippfehler, ist der Ursprung einer Vermutung, auf die auch der von Ministerin von der Leyen vor dem Parlament kritisierte Provider United Internet im Interview mit der Tagesschau eingeht. Auf die im vorgenannten Dokument, in verschiedenen anderen Diskussionsbeiträgen von Dr. Ursula von der Leyen und vom Ministerium immer wieder erwähnten, sechsstelligen Fallzahlen (»Kinderporno-Seiten bis zu 400.000 Mal pro Tag angeklickt«) angesprochen, stellt Andreas Maurer von United Internet diese in Frage:
Ich bin immer ein wenig skeptisch, was diese Zahlen anbelangt: Wie viele Nutzer sich Kinderpornoseiten ansehen und wie viele Zugriffe es tatsächlich gibt. Ich habe bis heute keine seriöse Quelle gefunden, wo diese Zahlen eigentlich herkommen.
Dem Manne kann geholfen werden. Vermutete Fallzahlen sind meine Theorie, ein kleines Rechenexempel mein vielleicht wiederlegbarer Beweis. Hierzu ziehe ich die Fallzahlen des Bundesministeriums heran, sowie die Einwohnerzahl der jeweiligen Länder, in denen Zugriffe auf entsprechende Stopp-Seiten wohl auch gezählt werden. Teilt man die Einwohnerzahl der Länder durch die Zugriffe auf die Internetsperre teilt, kommt man auf einen Wert von 0,00375… für Norwegen bzw. 0,00547… für Schweden. Multipliziert man diesen Wert nun mit der gegenwärtigen Einwohnerzahl von Deutschland, kommt man erstaunlicherweise auf zwei Werte, die den beiden oben genannten entweder entsprechen, oder aber nur um 0,0001, also an der vierten Nachkommastellen, abweichen:
Fallzahl1 | Einwohnerzahl | Fallzahl pro Einwohner | |
---|---|---|---|
Norwegen | 18.000 | 4.799.2522 | 0,00375… |
Schweden | 50.000 | 9.127.0583 | 0,00547… |
Deutschland | „300.000 bis 450.000“ | 82.117.0004 | 0,00365… bis 0,00547… |
Vielleicht nur ein Zufall, aber ein ziemlich unwahrscheinlicher.
Update (21. März 2010): Zwischenzeitlich hatte das Bundesministerium auf meine Anfrage mit einer Antwort reagiert, deren Inhalt ich Euch nicht vorenthalten möchte:
Die Hochrechnung auf mögliche Zugriffe in Deutschland erfolgte, wie Sie
bereits vermuten, auf der Grundlage der Zahlen in Norwegen (15-18.000 abgewehrte Zugriffe pro Tag) und Dänemark (50.000 pro Tag).Der Begriff „Ultima ratio“ bedeutet in diesem Fall, dass eine listenbasierte Sperrung einer Seite mit kinderpornographischen Inhalten nur erfolgen darf, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, den Zugang zu diesen Inhalten anders wirksam zu erschweren oder die Inhalte selbst zu löschen. Viele kinderpornographischen Angebote werden für ein sehr kurzes Zeitfenster gehostet und/oder befinden sich auf Servern in Ländern, in denen Kinderpornographie legal ist. Dann werden die Zugangserschwerungen über die deutschen Zugangsanbieter als ultima ratio angesehen. Nicht gelten kann dies also für kinderpornographische Angebote, die auf „.de“ Domains gehostet werden. Es bedeutet ebenfalls nicht, dass die Strafverfolgungsbehörden ihre
Ermittlungstätigkeiten in dieser Hinsicht einstellen.
- tägliche Zugriffe auf kinderpornografische Internetangebote [↩]
- Stand: 1. Januar 2009, Quelle: Wikipedia: Norwegen [↩]
- Stand: 31. März 2007, Quelle: Wikipedia: Schweden [↩]
- Stand: 31. Juli 2008, Quelle: Wikipedia: Deutschland [↩]