Super-Gau „Sauerland-Gruppe“

Hut ab vor Walter van Rossum: Sein Beitrag »Ein Käfig voller Enten – Recherchen zur „Sauerland-Gruppe“« für den Deutschlandfunk ist fundiert recherchiert, unterhaltsam und gleichsam aufrüttelnd. 40 lohnenswerte Minuten, an deren Ende man es mit der Angst bekommen könnte.

Deutschland dreiteilt seine Gewalt bekanntlich, in Judikative, Legislative und Exekutive. Drei Vertreter so geteilter Gewalt, namentlich Generalbundesanwältin Monika Harms, der Präsident des deutschen Bundeskriminalamts Jörg Ziercke und unser Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ließen 2007 drei „mutmaßliche Gefährder“ medienwirksam verhaften. Hubschrauber entluden drei vermeintliche Terroristen »aus unserer Mitte« vor laufenden Kameras, sämtliche geladenen Mainstream-Medien wirkten am selben Abend gleichgeschaltet und verkündeten ungeprüft, was ihnen in einer Pressemitteilung verlautbart wurde.

Den Verhaftungen waren Ermittlungen vorausgegangen, umfangreiche Ermittlungen könnte man sagen: 300-500 Beamte kümmerten sich ein halbes Jahr ausschließlich um die drei jungen „Gefährder“, welche nach ihrer Verhaftung als sogenannte „Sauerland-Gruppe“ bekannt wurden. Von den „professionellen“ Ermittlungsmethoden wird im Radio-Beitrag aus der öffentlich-rechtlichen Dokumentation »Terrorjagd im Sauerland – Wie das BKA ein Blutbad verhinderte.« genüßlich zitiert, eine „Dokumentation“ deren Titel angesichts ihrer Machart von vorauseilendem Gehorsam zeugt. Nicht nur diese Dokumentation, auch zahlreiche Beiträge aus den Printmedien1 klingen sehr ähnlich. »Die deutschen Sicherheitsbehörden haben über Monate geräuschlos und effektiv zusammengearbeitet. Keine Informationen sind an die Öffentlichkeit durchgesickert.« tönt auch „Terrorismusexperte“ Joachim Wagner unmittelbar nach den Verhaftungen in der Tagesschau.

Wie unprofessionell und infantil die Sicherheitsbehörden vorgegangen sind, wird anhand der medialen Berichterstattung, aber auch unter Zuhilfenahme von Interviews mit verschiedenen Verfassungsschutzbehörden seziert. Professionelles Vorgehen von Experten? Ganz im Gegenteil: Während der Überwachung machen sich die Beobachteten fortgesetzt über ihre Observierer lustig, bezeichnen US-amerikanische Überwacher als Cola, Deutsche als Pepsi, steigen auch schon mal aus um ihren Verfolgern die Reifen aufzustechen und davon zu fahren, sich dann aber wieder zurück in die Arme ihrer Verfolger zu begeben.

Angela Merkel gab anlässlich des Zugriffs auf die Sauerland-Gruppe zufrieden ihr Resüme zu Protokoll, indem es im O-Ton heißt: »Die Erkenntnis heißt jetzt: Es gibt nicht nur eine abstrakte Gefahr, es gibt eine reale Gefahr. Aber es ist auch eine wirkliche Leistung unserer Polizei.« Ausgerechnet im Superwahljahr 2009 aber wird nun ein Prozess geführt, dessen Ausgang absehbar ist: Freispruch im Sinne der Anklage, ein Super-Gau für Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, aber auch für Generalbundesanwältin Monika Harms und den Präsident des deutschen Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, und für alle selbsternannten Experten und unsere Sicherheitsdienste, denen man allesamt vor allem Ahnungslosigkeit, aber keine wirkliche Kompetenz zusprechen mag.

Nach dieser Dokumentation habe ich Angst, und zwar vor denen die mögliche Gefahren identifizieren und eliminieren sollen. Realität scheint: Subjektives Sicherheitsempfinden ist alles, was wir von deutschen Sicherheitskräften zu erwarten haben. Polizisten an Hauptbahnhöfen, Videoüberwachung aller Orten und anschwellenden Maßnahmenkatalogen zur inneren Sicherheit, deren Legitimation mit dem Urteil gegen die „Sauerland-Gruppe“ beerdigt wird.

Und hiermit wird wieder einmal anschaulich belegt, wie vermeintlich »akute Gefährdung« nicht nur zum Anlass genommen wird, schärfere Sicherheitsgesetze zu erlassen, sondern sogar Gefährdung aufrecht erhalten und geradezu befeuert wird.

Die „Sauerland-Gruppe“ könnte postum doch noch Opfer fordern, Generalbundesanwältin Monika Harms, Jörg Ziercke, Präsident des deutschen Bundeskriminalamts, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel nämlich – deren Funktion selbstverständlich, nur damit mich niemand falsch versteht.

Annalist hat verschiedene interessante Textpassagen aus dem Radiobeitrag nochmal herausgestellt. Gelesen ist es um einige schlimmer als gesprochen. Während ich zuhörte, konnte ich wenigstens noch ab und an lachen.

  1. bspw. Frankfurter Allgemeine Zeitung: »Schäuble glaubt man erst, wenn etwas passiert.« []
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