Wikileaks als Chance für den Graswurzeljournalismus

Ausgerechnet “das ehemalige Nachrichtenmagazin” veröffentlicht eine Homestory über einen Ehemaligen, der demnächts nicht nur ein eigenes Wikileaks aufbauen sondern auch sein Buch verkaufen will. Ausgerechnet deshalb, weil Der Spiegel natürlich einer der Nutznießer von Wikileaks ist, den investigativen Journalismus hat man inzwischen abgestellt und bekommt ihn kostenfrei. Trotzdem beteiligt man sich im Rahmen der Kampagne gegen Wikileaks mit eben jener Homestory an der Veröffentlichung der Glaubwürdigkeit des Projektes im Allgemeinen und Assange im Speziellen in Zweifel ziehender Geschichte, und das natürlich nur aus dem einzigen Grund: Wikileaks ist nicht nur ein neues Journalismuswerkzeug, sondern ermöglicht auch Graswurzeljournalismus.

Jeden Tag veröffentlicht Wikileaks jene Dossiers, die als diplomatische Depeschen aus allen möglichen Ländern eingetroffen sind. Seit nunmehr zwei Wochen sind so trotzdem gerade einmal 0,5 Prozent der zu veröffentlichten “Cable” verfügbar. Und obschon der Kopf von Wikileaks – selbstredend nicht aus politischen Gründen – inhaftiert wurde und sich die Politik seit dem ersten Tag bemüht, die Sprengkraft der Veröffentlichungen herunterzureden, ist Wikileaks nicht mehr von den Titelseiten zu bekommen.

Mit etwas analytischem Verstand, ein wenig Zeit und der Hilfe von Suchmaschinen ist es möglich aus dem Fundus bessere Berichterstattung zu verfassen, als das beispielsweise der zu Anfang zititerte Spiegel kann. Denn der wie so viele andere Qualitätsmedien werden aus politischem Vorbehalt, Zeitdruck oder zu Gunsten des Boulevard abwägen müssen, ob man Wikileaks weiterhin die nötige Aufmerksamkeit schenkt, oder lieber aus dem Schlafzimmer eines Parteivorsitzenden, den Preisverleihungen, den Streitereien in und über Parteien, im Auftrag von Unternehmen als Berichte getarnte Anzeigen publiziert. Denn billiger und reißerischer als das Zusammensetzen des Puzzle #cablegate dürfte es sein, die Agenturmeldungen zum Thema abzudrucken, wie das schon so häufig gemacht wird. Und insofern wird man über kurz oder lang überall das selbe Resüme aus den Depeschen vorgesetzt bekommen.

In diese und die folgenden Lücken, denn fraglos bleibt #cablegate nicht die letzte Veröffentlichung, kann Weltbürgerjournalismus seine Wurzeln jagen, Depeschen kommentieren, kritisch hinterfragen und so zum Erfolg wie zu dem von Wikileaks beitragen. Dabei müsste niemand die Zeit aufbringen alle Depeschen zu studieren, die Wikileaks Tag für Tag publiziert. Thematisch, geographisch, nach Personen, Parteien oder Unternehmen zerpflückt widmet sich die heterogene Blogosphäre dem, was ihnen ohnehin gefällt.

Daraus hervor gehen könnte auch eine neue Qualität basierte Verlinkung untereinander, denn über eindimensionale Blogrolls hinaus sollte eine Instanz geschaffen werden, von der aus abermals thematisch, geographisch, nach Personen, Parteien oder Unternehmen zerpflückt auf einzelne Beiträge oder sie behandelnde Blogs zugreifen können müsste. Denn Korrespondenten sind der verlängerte Arm einer Redaktion, die jeder Blogger für sich selbst übernimmt, in einem syndizierten Format, das Veröffentlichungen ähnlich Google News verlinkt, würde aus der den dezentral publizierte Resümees über die Cables eine schlagkräftigen Graswurzeljournalismus machen.

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