Kommentar zum Blog-Beitrag "Sprengsätze sind kein demokratischen Grundrecht"
Bei einem bloggenden Parteisoldaten der Konservativen CDU bin ich auf einen unmöglichen Vergleich von Sprengsätze und demokratischen Grundrechten gestossen, und habe mich wie folgt in Rage geschrieben, bin aber immer sachlich geblieben. Im Anschluss folgt eine kurze Beurteilung meiner „damaligen“ Schlussfolgerung nebst Bitte den Medien und der eigenen Partei nicht immer alles nachzuäffen.
Ich kann beurteilen, was der Kommentator Jens mit seinem Statement ausdrücken wollte, aber das hier als „erbärmlich“ zu titulieren ist ja wohl so was von daneben und fernab einer politischen Debatte, wie ich es für ein vorgeblich politisches Blog nicht erwartet hatte.
Sofern ich ihn richtig verstehe, hat er deinen Blog gelesen, werter Herr Stecki, und ich nehme auch an das er der Handreichung gefolgt ist, zunächst das aus der Ferne gedrehte Video gesehen und dann den Bericht aus dem Hause Springer gelesen hat.
Danach wäre ich ehrlich gesagt auch erstmal irritiert, denn im Titel wird das Recht auf Versammlungsfreiheit einer schweren Straftat gegenüber gestellt – Demonstration hier, Sprengsätze da. Ich sehe da auf dem Video eine Menge Menschen, selbst wenn man der Springerpresse Glauben schenkt, zähle ich demnach über zehntausend Demonstranten. Und das ist erstmal sehr viel für unsere politisch größtenteils passive Gesellschaft, auch und gerade dann wenn, wie man aus der Bild entnehmen konnte, ein breites Bündnis dazu aufgerufen hat: Gegen oder für etwas zu demonstrieren, gehört nicht mehr zur Selbstverständlichkeit eines jeden Bürgers, warum darauf gehe ich später noch ein.
Dem gegenüber wird eine schwere Straftat gestellt, nämlich die der Zündung eines Sprengsatzes, inwiefern der geeignet war überhaupt Menschen zu verletzen wird in den kommenden Wochen Teil der Ermittlungen sein – aber weder war es wohl eine schmutzig Bombe, noch ist es über die genannten und erwähnten Presseerzeugnisse hinaus eine Berichterstattung über einen Absatz hinaus wert, noch folgte der Explosion und den anschliessenden sieben ! Verhaftungen eine Pressekonferenz der Polizei, all das lässt darauf schließen, das ein überragendes Interesse der Öffentlichkeit nicht gegeben ist.
Und (fast) zu guter Letzt, nicht nur das hier die Demonstrationsfreiheit genießenden Bürger mit den Sprengsätze zündenden Idioten auf eine Stufe gestellt werden, so wird doch den bis zur Verurteilung als unschuldig geltenden Verdächtigen Mordlust unterstellt, obwohl auch aus Berchtesgaden, Bagdad oder Buenos Aires betrachtet der Vorfall sofort als das nachvollziehbar war, was in den letzten Jahren sehr häufig passiert und was ja wohl des Pudels Kern, ursächlich für den Artikel war: Krawallorgien, und eben nicht Terrorismus – wie hier tatsächlich ausgeschrieben wurde. Mal ganz im Ernst: Terrorismus? WTF! Erklären wir jetzt während der Wirtschaftskrise den Ausnahmezustand und setzen Grundgesetzlich verankerte Grundrechte ausser Kraft, weil es der Regierung nicht passt? Oder weil die Polizei nicht in der Lage ist, Krawallmacher von Demonstranten zu trennen.
Und da sind wir schon bei der Veranlassung meines Kommentars. Denn im Grunde geht es hier ja auch nicht darum, Gewaltorgien auf Demonstrationen abzuurteilen oder das Demonstrationsrecht generell auszusetzen, auch wenn schon wieder mit „Terrorismus“ gedroht wird. Genau genommen geht es um diese beiden (Ab-)sätze, nämlich:
„Wann werden endlich die juristischen, ausrüstungstechnischen und einsatztaktischen Rahmenbedingungen geschaffen, damit Einsatzkräfte besser gegen solche Attentate geschützt sind, sich adäquat zur Wehr setzen und eine nachhaltig-effektive Strafverfolgung einleiten können? Muss es erst tote Beamte geben?“
Erstmal: Muß wird mit doppeltem s geschrieben.
Die juristischen, technischen Rahmenbedingungen sind bereits gegeben, das Einschreiten der Einsatzkräfte setzt nur viel zu früh an. Demonstrationen zieht in Deutschland kaum noch jemand an, weil das Gewaltpotential auf beiden Seiten so hoch ist, und weil man Gefahr läuft auch bei ganz harmlosen Zusammenkünften früher oder später direkt oder indirekt verletzt zu werden. Und nein, tote Beamte muss es nicht geben, aber es sollte auch keine toten Demonstranten geben, nur weil eine Hand voll Idioten den Staat vorführen, wie es eben doch Terroristen mit der freien Welt machen: Uns einschüchtern, bis wir bereit sind unsere Freiheit zu Gunsten der Sicherheit aufzugeben.
Komm endlich mal runter von den hohen Ross, werter Herr Stecki. Runter von dem Ross, das über zehn Jahre für Angriffe auf Polizisten fordert, wie das Innenminister Bouffier in Hessen vor einiger Zeit gefordert hat, womit dieser Beitrag die Kampagne ja offenbar fortsetzt, und was den Demonstranten zum Treibgut in einem Meer der Gewalt werden lässt, den zu allerletzt nur der Gewaltbereite gewinnen kann, denn dem ist – ob seiner Taten belegt – ohnehin egal was mit den Menschen passiert – ganz gleich ob in Uniform oder Zivil. Der Bouffier und all seine ultrakonservativen Kollegen fordern wieder etwas, das gezielt gegen unsere Freiheitsrechte gerichtet ist, unter dem Deckmäntelchen den Polizisten, denen er eben noch auf Gutsherrenart einen neuen Chef spendiert und 42 Stunden pro Woche ohne Lohnausgleich verabreicht hat als Schutzengel zu erscheinen. Das was Bouffier und Kollegen da fordern, härtere Strafen für Polizisten statt Zivilisten untergräbt den Gleichheitsgrundsatz, ignoriert die in vollem Bewusstsein ausgeübte Berufswahl und den damit verbundenen Gefahren und – das allem voran – übt auf die Täter doch keine Wirkung aus. Zehn statt fünf Jahre? Das kann doch bei der unterstellten Mordlust keinen Unterschied mehr machen.
Zu (nun aber tatsächlich) guter Letzt: In Deutschland herrscht Vermummungsgebot und ein hoher Grad an Kameradschaft bei der Bereitschaftspolizei. Daraus folgt, das im Fall von Ausschreitungen gegenüber Demonstranten seitens der Polizei in Bruchteil der Fälle überhaupt ein Täter identifziert werden kann, und da ist von beamtenrechtlichen Konsequenzen oder Verurteilung noch lange keine Rede. Polizisten müssen, wenn sie zur Demonstration schon in Vollausstattung befohlen werden, wenigstens anhand einer Kennzeichnung identifiziert werden können, damit Strafverfahren eingeleitet werden können und so die Gewalt Polizist gegen Demonstrant wieder abnimmt. Wer dem keinen Glauben schenkt, war schon lange nicht mehr auf einer richtigen Demonstration, sondern verwechselt das mit einer Kundgebung – zur Unterscheidung: letztgenanntes Happening weist in der Regel Fahnen und Schildermeere, Bühne, Bodieguards, Würstchenbuden und Dixxieklos auf. So lang die Gewaltexzesse der Polizei gegenüber friedlichen Demonstranten anhalten und eskalieren, gelingt es auch nicht den Gegner von seinen Taten abzubringen, indem das regulierende Element friedlicher Demonstrant eingreift, denn der bleibt natürlich zu Hause und ihn kümmert die Demokratie im Allgemeinen, Politik und Wahlen im Speziellen dann irgendwann wirklich nur noch einen Dreck. Mal darüber nachgedacht?
Fraglos geht die Polizeigewalt auch von den herrschenden Mächten aus, denn Innenministerium und also Einsatzleitung, alle mit Ambitionen nach Oben und unbedingten Willen Demonstrationen nicht zu dem Spektakel werden zu lassen, der ihre eigenes Regierungshandeln in Frage stellen könnte, veranlassen, das die Bereitschaftspolizei ihr Leben riskieren *müssen*, denn im Einsatz haben sich gemäß den Anweisungen ihres Dienstherren zu kleiden. Und wenn der Dienstherr in der Einsatzbesprechung sagt, das man den Rentnern in ihren Rollstühlen und an der Gehhilfe in Vollmontur begegen muss, dann gibt es da weder (Möglichkeit zum ) Widerspruch noch auch nur einen Polizisten der bei 40°C Innentemperatur in der prallen Sonne den Helm ablegen darf, während die Rentner vor ihnen gegen Rentenkürzungen opponieren. Das ist keine Phantasterei, so vollzieht sich das tatsächlich.
Verschwenden sie ihre Zeit nicht mit Tagespolitik, der Geißelung einiger Spinnerter, und fallen sie nicht auf die Propaganda einiger ihrer Parteifreunde herein, die meinen mit mehr Strafen mehr Straftaten zu verhindern. Das hinderte auch zehntausende Steuerhinterzieher nicht, ihre Schäfchen in trockene, durchnumerierte Depots zu bringen. Hohe Strafen schützen auch vor Entführung und Mord nicht, wie man dieser Tage leider verfolgen konnte.Gerechtigkeit und Chancengleichheit sind es, dafür gilt es zu kämpfen. Das gilt für Liberale, Konservative und Linke gleichermaßen. Und: Propaganda können Massenmedien viel besser verbreiten, Blogs sollten lieber ihrer Bestimmung folgen, in die Debatte eingreifen, anstatt sie nur rezitieren. Bitte!
Ich lebe in einem Bundesland, das demnächst von einem Vollpfosten regiert wird, der diese Themenvermengung, Einzeltäter und Demonstranten, Linksextremismus und Terrorismus, in der öffentlichen Debatte nicht nur in Kauf nimmt, sondern befeuert. Das verursacht bei mir einenen Kotzreflex.