Hessenhorror

Wir haben den Zusammenbruch der Finanzwirtschaft erlebt, wir konnten die Parteirechte die SPD zerlegen sehen, Unzufriedenheit mit der in der Christdemokratie verantwortlichen Spitzenpolitikern hat 2009 Jahr zu einer deutlicheren Wählerwanderung zugunsten der FDP geführt und inzwischen kommt die Regierung in wohlmeinenden Umfragen noch auf 40 Prozentpunkte. Abgewirtschaftet hat also nicht nur die Große sondern kurz darauf auch die schwarz-gelbe Koalition im Bund. In vielen CDU-regierten Länder sind konservativen Wählerinnen und Wähler längst bereit ihr Kreuz nicht mehr von langfristiger Parteibindung abhängig zu machen, sondern auch mal grün anzulaufen, wie man im Ländle sehen konnte.

Doch werfen wir einen Blick zurück, wie in diesen Tagen üblich. Vor drei Jahren stand Roland Koch an der Wand. Der Wind hatte sich gedreht und fegte ihm stellvertretend für seine Partei durchs Gesicht. Hier in Darmstadt gab niemand von der CDU sich der Illusion hin, ihre sogar von der eigenen Landespartei gechaste Kultusministerin, die sich in den vergangenen Monaten als lesbische Kreationisten geoutet hatte, und deren einziges Vorhaben, die Unterrichtsgarantie plus/minus null und G8 ein einziges Desaster darstellten, könnte bei der bevorstehenden Landtagswahl etwas reißen. Den Bonus als amtierende Ministerin hatte sie in einen Ministermalus umgetauscht. Tatsächlich sollten die Darmstädter Wahlkreise diejenigen sein, die in Hessen besonders gut abschnitten. Das der Ehrgeiz von Dagmar Metzger damit etwas zu tun gehabt haben mochte, steht ausser Frage. Ihre Hausbesuche hatte sie mit großem Eifer absolviert. Doch viel mehr dürfte der Name Metzger hier noch Gewicht gehabt haben, zumal im Landkreis mit seiner eher konservativen Klientel.

Rote Socken Kampagne: „Ypsilanti, Al Wazir und die Kommunisten stoppen“

Nachdem dem rechten Demagogen die Kriminalisierung von Migranten um die Ohren geflogen war, half in seinen Augen wohl nur noch die rote Socken Kampagne aus der Altkleidersammlung: „Ypsilanti, Al Wazir und die Kommunisten stoppen“ plakatierte die hessische CDU fortan. Das sollte nichts helfen, im darauf folgenden Januar 2008 kassierte die hessische CDU dafür das erste Mal die Quittung, später sollte sie die Einbußen von etwa 12 Prozentpunkten noch einmal vom Wähler bestätigt bekommen.

Das war übrigens längst nicht die einzige spontane Diffamierungskampagne, denn in der Nacht auf den Wahlsonntag umrahmten die hiesige Junge Union, die Vorfeldorganisation der CDU, Wahlplakate der SPD im Umfeld von Wahllokalen mit Bildmanipulation der Mathildenhöhe, die mit Windrädern verstellt war. Das war höchst kreativ, verhinderte aber auch nicht das die Darmstädter CDU die größte Klatsche in ihrer Geschichte kassierte.

Anfang März, kurz vor der Gewissensentscheidung, kam es bei uns zu einer Diskussion über die Bündungsfähigkeit von Die Linke, einer heftigen Grundsatzdiskussion wie sie seinerzeit noch häufiger zu beobachten war. Zur Kenntnisnahme war Dagmar Metzger allen Beiträgen zugefügt, war aber entweder schon im Skiurlaub, hatte kein Interesse oder nichts beizutragen. Thema war das Versäumnis unserer Partei zur Klärung unseres Verhältnis zur Linkspartei, eine Diskussion wie sie damals innen und aussen überall geführt wurde. Damals war noch der ‚Böse Bube Lafontaine‘ Thema und von Themen nur die Rede wenn die ‚Linken politikunfähig‘ gesprochen werden sollten. Ich erinnere mich gut an die angespannte Lage, in der sich unsere Partei trotz des triumphalen Wahlsiegs über den anmaßenden Rechtsausleger freuen konnte. Leider divergierten veröffentlichte Meinung und tatsächliches Parteileben und -basis zusätzlich, sodaß kein anderer Eindruck entstehen konnte, als das die Partei gespalten sei und ihre Protagonisten nur mit sich selbst beschäftigt seien.

Hermann Scheer zu den „hessischen Verhältnissen“

Der SPD-Linke Hermann Scheer äußerte sich zu den hessischen Verhältnissen analytisch völlig richtig, und stellte eben solche Fragen: »Soll Koch weiter regieren können?« »Es wäre falsch, wenn die SPD die Linkspartei laufend stärker werden ließe.« »Soll man alle eigenen Initiativen zurück ziehen, weil die Linke ihnen zustimmen könnte?« »Die Debatte hat neurotische Züge.« raquo;Die Glaubwürdigkeitsfrage darauf zu reduzieren, wie eine Mehrheitsbildung zur Ministerpräsidentenwahl zustande kommt, hat einfach unpolitische oder scheinheilige Züge.«

Recht hatte er.

Wenn man sich anschaut, wie fern- und fremdgesteuert die Hessen CDU manchmal aggiert, kommt diese Partei eigentlich nur für unfreie Wähler in Frage. Die CDU insgesamt ist ein riesiger, nur sich selbst inspirierter Klangkörper, der Abend für Abend von den Argumenten der Presse mit den großen Buchstaben an die Stammtische tritt, Arien singt oder Theater aufführt. Das ist traurig, denn es handelt sich um die zweite Volkspartei im Lande, aber es läßt sich nicht leugnen.

Das rechte Gewissen der Partei

Ironie der Geschichte, und so nie von den Massenmedien wiedergegeben worden: Dagmar Metzger war mit genau einer Stimme Mehrheit selbst knapp für die Kandidatur nominiert worden. Die eine Stimme die Ypsilant später fehlen sollte, war durch genau eine Stimme zu Gunsten von Dagmar Metzger überhaupt erst zustande gekommen.

Während wir im Wahlkampf durch Südhessen gondelten, stellte Dagmar eine rhetorische Frage, nämlich warum sie alle im rechten Flügel verorten. Feingeist, der ich bin, antwortete ich natürlich, um die Konversation nicht zu unterbrechen. Sinnlos muss diese Antwort gewesen sein, sonst wüßte ich wenigstens noch was ich damals sagte. Heute aber, in Kenntnis der weiteren Vorgänge, hätte mir diese Frage aber zu denken geben sollen.

Dagmar Metzger vollzog vor allem zu Anfang der Diskussion um ihre Entscheidung auch einen Zickzack-Kurs, der es schwer macht ihr zu folgen. Mal redet sie mit Die Linke, dann beeilt sie sich eine Zusammenarbeit auszuschliessen. An einem Tag räumt sie ein sich dem Beschluss des Parteitags beugen zu wollen, und dementiert am darauf folgenden Tag.

Clement-Chronik

Widerspruch: RWE-Atomlobbyist Clement hat Atomausstieg mitbeschlossen und im Wahlkampf 2005 hierfür zur Wahl gestanden

Clement vollzog ein Rein-Raus-Spiel: Rein. 30 Jahre ungebrochen Parateikarriere. Raus! Ende Kabinett Schröder = Ende Superminister Clement. Rein! in die Wirtschaft: RWE, Leiharbeit, Lobbyisten. Raus? Clement denkt angesichts des Links-Kurses seiner Partei Medienöffentlich über Parteiaustritt nach. Raus! 1 Woche vor der Wahl Rüge! Schiedskommission im eigenen Unterbezirk Raus! Schiedsgericht NRW befindet Rauswurf. Rüge! Generalsekretär Hubertus Heil, ehemaliger und neuer Parteivorsitzender, ehemaliger Vizekanzler Franz Müntefering vertreten eigene und Parteiinteressen im Verfahren, indem Clement vom ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schilly vertreten wird. Raus! Clement gibt einen Tag nach Aussprechen der Rüge, Bits und Bytes readktioneller Läuterung sind kaum gespeichert, seinen Austritt bekannt.

  • Herbst 2005: Mit Beginn der Großen Koalition endet Clements Karriere als «Superminister» für das Arbeits- und Wirtschaftsressort. Beim SPD-Bundesparteitag in Karlsruhe im November tritt Clement auch nicht mehr als stellvertretender Vorsitzender an. (nz/AP)
  • Oktober 2006: Kritik vom linken SPD-Flügel handelt sich Clement mit Äußerungen zur Arbeitsmarkt- und Atompolitik ein. So wendet er sich gegen den Atomausstieg sowie Mindest- und Kombilohnmodelle und wirft der SPD vor, auf einem «Irrweg» zu sein, weil sie die Agenda 2010 nicht mehr konsequent verfolge. In den folgenden Monaten übernimmt er eine Reihe von Posten in der freien Wirtschaft, unter anderem beim Gebäudedienstleister Dussmann und bei RWE Power. Außerdem wird er Vorsitzender des Adecco Institute, das vom weltgrößten Leih- und Zeitarbeitskonzern gegründet wurde.
  • 20. Januar 2008: Clement warnt in einem selbst verfassten Beitrag in die Welt unter dem Titel »Für Ypsilantis Pläne müsste Hessen zahlen« »Deshalb wäge und wähle genau, wer Verantwortung für das Land zu vergeben hat, wem er sie anvertrauen kann – und wem nicht.«unmittelbar vor der Landtagswahl in Hessen vor den energiepolitischen Plänen der hessischen SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti und rät implizit von deren Wahl ab. Fraktionschef Peter Struck fordert Clements Ausschluss.
  • 21. Januar 2008: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck fordert Clement auf, die Partei zu verlassen, und droht andernfalls mit einem Ausschluss. In der Folge beantragen 13 SPD-Ortsvereine und Unterbezirke den Parteiausschluss des ehemaligen Wirtschaftsministers. Clement bleibt danach jedoch besonders in der Atompolitik auf Konfrontationskurs zur SPD.
  • 23. Januar 2008: „Ich würde sie nicht wählen.“ Clement über Andrea Ypsilanti
  • 27. Januar 2008: Bei der Wahl fehlen der SPD etwas mehr als 8.000 Stimmen, in Prozentpunkten 0,1 Prozent um stärkste Kraft im neuen Hessischen Landtag zu werden.
  • 28. Januar 2008: Drei SPD-Gruppierungen in Bochum beantragen den Parteiausschluss von Clement wegen «parteischädigender Äußerungen».
  • 7. Februar 2008: Auf einer Tagung des Deutschen Atomforums stellt sich Clement mit einem Aufruf gegen den Atomausstieg erneut gegen die offizielle Linie der SPD.
  • 22. Februar 2008: Kurz vor der Wahl in Hamburg wirft Clement in der «Welt» führenden SPD-Politikern pauschale Managerschelte, falsche Feindschaften und «ärgerliches Maulheldentum» vor.
  • 23. April 2008: Das Schiedsgericht des SPD-Unterbezirks Bochum spricht gegen Clement wegen dessen Kritik an Ypsilanti eine Rüge aus, verzichtet aber auf einen Parteiausschluss. Der Ortsverein Bochum-Hamme legt Tage später Einspruch gegen das Urteil der Schiedskommission ein. Wenig später legt auch Clement Einspruch gegen die Parteirüge ein.
  • 24. Mai 2008: Clement warnt in der «Welt am Sonntag» vor einer Nominierung Gesine Schwans als Kandidatin fürs Bundespräsidentenamt. Dies wäre ein Signal für ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene. Die SPD verlasse damit die politische Mitte.
  • 12. Juli 2008: Anhörung vor der Landesschiedskommission erscheint Clement in Begleitung seines Anwalts, des ehemaligen Bundesinnenministers Otto Schily. Clement signalisiert, er würde sich mit einer Rüge abfinden. Er sehe «gelassen, guter Laune und guter Stimmung» in die Zukunft.
  • 29. Juli 2008: Biblis letzte Schnellabschaltung ist gerade eine Woche alt: Kran unweit des Kraftwerks kollidierte mit Hochspannungsleitung, verursachte Kurzschluss und Funkenflug, in dessen Folge ein Flächenbrand enstand, der von einem Großaufgebot der Feuerwehr gelöscht werden musste. Clement braucht das nicht stören, er ist zwar beim Betreiber RWE beschäftigt, aber wohnt in Nordrhein-Westfalen und ist trotz seines Alters noch hoch mobil.
  • 30. Juli 2008: Die Schiedskommission des SPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen schließt Clement aus.
  • 31. Juli 2008: Die SPD gibt bekannt, dass sich die Landesschiedskommission für einen Parteiausschluss Clements entschieden hat. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig, da Clement Berufung bei der Bundesschiedskommission einlegen kann. Das kündigte er unterdessen an.
  • 4. August 2008: Clement lehnt Kompromiss ab.
  • Wolfgang Clement, meldete sich nach dem “schwarzen Montag” erleichtert zu Wort, und ist “froh, dass der Kelch an uns vorübergegangen ist” (WAZ, 3.11.2008), und hofft, dass “der Spuk der Zusammenarbeit mit der Linkspartei vorbei sei” (WAZ 10.11.2008). Mag sein das Clement sich nicht von seiner Verantwortung als Aufsichtsratsmitglied bei RWE Power AG leiten lies.
  • Zwischenzeitlich positionierte sich ein Hamburger Genosse pro Clement: www, Punkt, Clement, Bindestrich, muss, Bindestrich, bleiben, Punkt, de wurde von Nicholas Gildemeister registriert, stellvertretender Landesvorsitzender der Jusos Hamburg, also Stellvertreter von Danial Ilkhanipour, der vor wenigen Tagen einen SPD-Linken seine Direktkandidatur mit nur einer Stimme Vorsprung abnahm und hierfür in Hamburg ein ebenso starkes Erdbeben verursachte. Nicholas Gildemeister mahnten an das man sich zurücksehne in eine Zeit wo die SPD nur ein paar hundert Mitglieder hinter den Christdemokarten gelegen hätten, dann nämlich wenn der Fall Clement Schule macht. Wenige Sätze später beginnt die Phantasiemaschinerie der Genossen richtig zu sprudeln: »Platz wäre nur noch für diejenigen, die nirgends anecken. Ganz davon abgesehen wäre es ein Präzedenzfall, der denjenigen, die innerhalb der Partei eine Mehrheit haben, stets erlauben würde, unter dem Deckmantel des Wohles der Partei politische Gegner rauszuwerfen. Die SPD hat in Deutschland immer dafür gekämpft, dass eine solche Praxis nirgendwo möglich ist.« Mag sein, das Mancher mit Agenda 2010 mit Clement gleichsetzte, wenn er seinen Rauswurf verteidigte. Ursächlich für das Verfahren war aber, und das lassen die Genossen hierbei bewust ausser Acht, das Wolfgang Clement eine Woche und wiederholt drei Tage vor der Wahl zentrale Themen eines Wahlkampfes eines ihm fremden Landesverbandes angriff.

    Wenig später tritt Wolfgang Clement aus der SPD aus. Der ehemalige Superminister erklärte als Gründe für seinen Parteiaustritt: „De-Industrialisierung“ „Wahrnehmung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit mit einer öffentlichen Rüge drangsalieren zu können“ und das seine Partei „keinen klaren Trennungsstrich zur PDS/Linken“ ziehe.

    Das Clement einer der privilegiertesten Meinungsmultiplikatoren ist, der beim Frontalunterricht in elf Mikrofone, vor einer romantischen Rhein-Kullisse sein „Clementi“ herausbrachte und sich versuchte bei den hessischen Genossen zu entschuldigen, wurde meines Wissens nie thematisiert. Diesen irrsinnigen Widerspruch, das jemand vor laufenden Kameras in die Mikrofone spricht, ihm sei seine Meinungsfreiheit streitig gemacht worden, ohne das die hiesigen Qualitätsjournalisten das als Widerspruch identifizieren, war ein Novum.

    Putsch ist in: Simonis, Karvei, „kleiner Koch“ und Clement

    Mittlerweile fragten sich auch Genossen ob der zur Schau gestellten Selbstherrlichkeit, mangelnden Solidarität und der Dolchstösse »Wie hoch muss man in der SPD steigen, um der Partei zu schaden?« Und auch auf diese Frage geben die Parteiordnungsverfahren keine Antwort, höchstens die: höher als ein Superminister, heftiger als die Verhinderung der Regierungsübernahme durch die eigene Partei. Jemand meinte mal, „Eine Partei, die sowas ohne knallharte Reaktion passieren lässt, kann einpacken. (…) Ich nenne es Parteihygiene.“ und ich bin sehr gespannt ob er Recht behalten wird.

    Karvai fordert Ypsilantis Rücktritt: http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/index.jsp?rubrik=34954&key=standard_document_35735752 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,589999,00.html Gewicht, als würde Mutti loben oder die politische Konkurrenz den Rücktritt fordern. Warum Spiegel Online dann solche Nachrichten verkauft, ohne einen Hinweis darauf? Unwissenheit, im journalistischen Metier fatal, oder weil sich schlechte Nachrichten wie Schlagabtausche eben doch besser verkaufen als Gute. Gerade dieser Tage konvertieren viele traditionelle Leser gedruckter Presseorgane zum digitalen Pendant, oder zum in Klickweite liegenden Konkurrenten. In Zeiten, in denen Google News bspw. 40 Prozent der Besucher des Focus online generiert, und die nächste Schlagzeile nur wenige Pixel entfernt ist, ist abnehmende Markentreue kein Forschungsergebnis mehr, sondern täglich gelebte Realität. Wettbewerb wie ihn der Begriff Raubtierkapitalismus nicht annähernd beschreibt. — vertraulich persönlich plumpes Vorgehen politischer Wasserträger, verantwortlich nicht nur für die gescheiterte Regierungsbildung, sondern, wenn sie so weitermachen für ein in ihrem Wahlkreis fiaskiöses Ergebnis

    Der erste rot-grüne Meilenstein

    Jürgen Banzer, Minister der Justiz, zugleich mit der Leitung des Kultusministeriums beauftragt: Die gründliche und intensive Vorbereitung auf alle denkbaren Fragen des Parlaments gehört zur selbstverständlichen Pflicht eines Ministers. (Beifall bei der CDU (…))

    Ganz hinten im Protokoll angekommen, kurz vor Ende der Sitzung um 19:19 Uhr, kommt es dann zum begründeten Jubel:

    Wer stimmt in zweiter Lesung dem Dringlichen Gesetzentwurf der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Sicherstellung von Chancengleichheit an hessischen Hochschulen in der Fassung der Beschlussempfehlung und in der eben geänderten Fassung zu? Ich bitte um das Handzeichen. – SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die LINKE. Wer ist dagegen? – CDU und FDP. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung angenommen und als Gesetz beschlossen. (Jubel und anhaltender Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

    ((Auszug aus dem Plenarprotokoll des Hessischen Landtags, 17.Wahlperiode, 9. Sitzung vom 3. Juni 2008))

    Vorfeldorganisation in der Identitätskrise

    Von einer Vorfeldorganisation spricht man in der Politik von nicht strukturell in die jeweilige Partei eingebundene Gruppen mit zum Teil eigenen politischen Anspruch. Bekannteste Gruppe dürften die sog. Jusos sein, die Jungsozialisten in der SPD, wie es ausführlich heißt. Während eine Vorfeldorganisation in gewisser Weise unabhängig von der Partei ist, verstehen es in manchen Unterbezirken Netzwerker diese Gruppe zur Rekrutierung neuer Mitstreiter. Wo sog. weiße Flecken existieren, werden kleine Juso-Fähnchen platziert und die Einrichtung einer neuen Gruppe zelebriert wie ein Jungbrunnen .Dieser Jungbrunnen funktioniert auch hinsichtlich vermeintlich inhaltlicher Arbeit, so sind hier verfasste Anträge stets provokant formuliert, wie bspw. die gescheiterte Umbenennung in Junge Sozialdemokraten, weil man sich nicht als Sozialisten sehe. Das der demokratische Sozialismus im Hamburger Programm der eigenen Partei festgeschrieben ist wird dabei gerne mal vernachlässigt.

    Jürgen „Innenminister“ Walter

    “Wir Sozialdemokraten sind nicht angetreten, um Hessen unter Naturschutz zu stellen” Jürgen Walter als Mitglied der Verhandlungsdelegation forsch und auf Konfrontationskurs gegen die Grünen in die Verhandlung – und kam am Ende als großer Verlierer wieder heraus. „Dieses Rumpfressort konnte kein ernst gemeintes Ansinnen sein. (…) Es hätte uns gut angestanden, die Kompetenz Jürgen Walters einzubinden.“ kommentierte dies das Darmstädter Echo, das es besser gewusst haben mochte.

    Vom Ministerpräsidenten in spe zum Verkehrsministeranwärter a.D.

    Wie hatte es nur so weit kommen können, das sich die innerparteiliche Auseinandersetzung derart entfaltet, das die „freie“ Presse sich über ein Jahr lang an ihr abarbeiten konnte, ohne das ihr oder den Lesern langweilig wurde. Nun mit viel Phantasie der Schreiber fraglos, aber auch durch die als sicher gelten Nominierung des „kleinen Koch“ zum Herausforderer des Großen. In Rotenburg, auf dem entscheidenden Parteitag der hessischen SPD hielt Ypsilanti die bis dahin wohl wichtigste Rede ihrer Laufbahn, und überzeugte. Zudem hielten es wohl eine Menge Genossen und vor allem „Parteifreunde“ von Walter nicht für nötig, noch bis zum Wahlgang zu bleiben. Günter Rudolph gehörte nicht dazu, den konnte das Fernsehen dann noch zu dem Statement „Da muss ich in meinem Unterbezirk noch einiges erklären“ überreden. Zu dem Zeitpunkt hatte ich Andrea schon auf elektronischem Wege gratuiliert, weil ich sie für die bessere Wahl hielt, was sich ja bestätigen sollte.

    Andrea und Jürgen sind drei Monate durch das Land getourt, um allen Genossen die Möglichkeit zu geben sich vorzustellen, vom ersten Tag an begleitet von der Presse, Leuten vom Radio und sogar Fernsehteams. Meines Erachtens aussergewöhnlich für eine innerparteiliche Kandidatenfrage, aber das mag an der kontinuierlichen Reibung zwischen den „progressiven“ Netzwerkern und dem linken Parteiflügel gelegen haben. Damals war ich gerade halbwegs frisch in die SPD eingetreten, und kam dem Aufruf nach, mich von den beiden Aspiranten überzeugen zu lassen. Irgendwo im Landkreis sollte ich das erste Mal Jürgen Walter begegnen.

    Jürgen Walter stand dort oben und verkündete, er wisse genau von wem die Frage komme und höre sie immer und immer wieder. Tatsache war, das die Frage von mir gestellt und von niemandem beeinflußt war. Sie basierte schlicht auf der Tatsache, dass er mit Unterzeichnung der Gründungserklärung des Netzwerkes Berlin seinen Standpunkt zu Studiengebühren unmissverständlich bekundet hat und das dies im – freundlich umschrieben – deutlichen Kontrast zu einem zentralen Thema im Wahlkampf stehen würde.

    Schwarzer Montag, 3. November 2008

    Nach allen Äußerungen, die Jürgen Walter, Silke Tesch und Carmen Everts inzwischen auf der Pressekonferenz am 3.November (Die Zeit vom 4.11. “Gestern sagte Frau Everts, sie habe insgeheim gehofft, die Linkspartei würde diesen Katalog ablehnen”), in der ARD-Sendung “Beckmann” am 10.11. oder in Interviews mit der Frankfurter Rundschau vom 15.11.2008 machten, in denen sie ihre “Hoffnung auf das Scheitern der Koalitionsverhandlungen, Ausstieg bei Abschluss dieses Prozesses, in den Koalitionsverhandlungen” (Carmen Everts) oder ihre “Suche nach den Sollbruchstellen” (Silke Tesch bei Beckmann;wortgleich nannte der FDP-Vorsitzende Hahn Anfang September den Flughafenausbau “die Sollbruchstelle” der Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen, FAZ 4.9.08) vorgaben, wünschte man sich sie wären vorher so redselig in der Partei gewesen, wie sie es plötzlich den Massenmedien gegenüber waren.

    Meiner Meinung nach ging es nicht um Meinungsfreiheit.

    Tritt man in eine Partei ein, um etwas verändern zu wollen, oder zumindest es nicht noch schlimmer kommen zu lassen? Wenn ja, befördert dann ohnemächtiges Zusehen nicht Zweifel an dieser grundlegenden Motivation, bishin zu Resignation, ja zum eigenen Austritt. Wenn Großkopferte ganze Regierungsprogramme mit ein paar Sätzen zu demontieren versuchen, kann das der Motivation nicht zuträglich sein. Schmallippige Clementis (»wenn sich hessische Parteifreunde möglicherweise in ihren Gefühlen verletzt und durch den Zeitpunkt meines Kommentars im Stich gelassen fühlten« täte Clement das leid, wieder ausschliesslich über die Medien an uns hessische Parteifreunde gerichtet, darauf pfeife ich als Wahlkämpfer, zumal der Zeitpunkt, ein halbes Jahr nach den Vorkommnissen, das Ambiente, vor den Rheinauen vor 11 Mikrofonen den Redaktionen der Republik und nicht Genossen gegenüber stehend, das Kalkalkül insgesamt nicht zu einer Entschuldigung passen mochten. Wenn Clement im gleichen Atemzug von »Entäußerungen von Einzelpersonen« ihm gegenüber spricht, und meint er habe »nicht zur Nichtwahl der SPD aufgerufen« trägt

    Wolfgang Clement beansprucht für sich das hohe Gut der Meinungsfreiheit, ohne davon in den Monaten währenden Partei internen Diskussionen – nebst öffentlichem Entwurf zu dem von ihm kritisierten Energieprogramm – Gebrauch zu machen. Clement wartete ab, bis er maximalen Schaden verursachen konnte. Vier Abweichler in Hessen sorgen mit ihrem Alleingang für ein Scheitern einer Regierungsbildung und berufen sich auf ihr Gewissen. Dann stellte sich heraus, dass Müller-Vogg in der BILD noch am Montag vor der Abstimmung in einem feierlichen Aufruf, sich Ypsilanti zu verweigern, fast genau das Bild gebrauchte, das Everts nachher so erschütterte: das der Abstimmkabine, in der sie, die gestandene Frau, dann so allein stehen werde, so ganz allein… Hat das Gewissen also schon vorher geplaudert?

    Ganz unabhängig von den Zweifeln an der Gewissensentscheidung von Carmen Everts vertrat die SPD die Auffassung, das Everts „jede Gelegenheit gehabt, diese zu artikulieren (…) Hätte er seine angeblichen Gewissensbisse vorher geäußert, hätte die hessische SPD auf vier Regionalkonferenzen und zwei Landesparteitage verzichten und dadurch Ausgaben in Höhe von rund 150.000 Euro sparen können.“

    Tragische Figur Franz Müntefering

    Während sich diese Äusserungen noch halbwegs hoffnungsvolle hessischen Genossen und ein zerknirschter aber aufrechter Vorsitzender Kurt Beck anhören mussten, durfte Müntefering schließlich nur noch den Austritt entgegen nehmen und damit Schaden verwalten den er selbst zu verhindern nicht in der Lage war – wie wenige Tage zuvor der Verlust seines geschätzten Kollegen Annen aus Hamburg musste er auch hier zusehen, wie sich seine Partei selbst zerfleischt.

    Nur Verlierer, vor allem der Wähler

    Funktionäre waschen dreckige Wäsche in der Öffentlichkeit.

    Jürgen Walter beispielsweise rannte noch während der Antragsberatung auf dem Parteitag der Hessen-SPD in Hanau zur Presse und erklärte den noch nicht beschlossenen Antrag für schädlich, nur um dem Beschluss zuvorkommen und der allgemeinen Berichterstattung darüber zuvor zu kommen.

    Funktionäre erteilen sich gegenseitig in der Öffentlichkeit Ratschläge, auch über Landesgrenzen hinweg, Wolfgang Clement beispielsweise kritisierte ein über Monate hinweg Parteiöffentlich ausgearbeitetes, als Entwurf verfügbares Regierungsprogramm ausgerechnet wenige Tage vor der Wahl gegenüber BILT. Hanno Benz gab in Bezug auf Monika Bradna zu Protokoll, er wäre in dieser Situation nicht mehr angetreten. Wenige Wochen später, wenige Tage vor der Wahl gibt sich seine Vertraute Susanne Steffes zu erkennen und kandidiert selbst um das entsprechende Amt. Dieter Wenzel, enger Parteifreund von Hanno Benz und Susanne Steffes, gratuliert ihr noch vor Verkündung der Stimmauszählung zur gewonnnen Wahl.

    Funktionäre beeinflußen Wahlentscheidungen ihrer eigenen Partei nicht nur durch öffentliche Bekenntnisse zu einem bevorzugten Kandidaten, sondern arbeiten auch gezielt im Hintergrund, durch Telefonate und persönliche Gespräche, daran, das der Wunschkandidat ausreichend Stimmen kassiert.

    Kopfschmerzen hält jeder Mensch bis zu einem bestimmten Grad aus, aber irgendwann nimmt man Medikamente oder trinkt einen Tee, manche gehen so weit und beseitigen die Ursachen. Politische Hygiene nennt sich der Prozess vorsätzliche, renitente Störungen durch Ausschluss des Störers zu verhindern. Niemand wird über ein Parteiordnungsverfahren nur missliebige Parteifeinde los, wie das in der Öffentlichkeit verzerrt dargestellt wird. Aber wenn der Nachbar mitten in der Nacht zum wiederholten Male die dem eigenen Wohnzimmer zugewandte Musikanlage voll zur Geltung bringt, sei es zur Wahrung des nachbarschaftlichen Friedens erlaubt diese Musikanlage durch die Polizei stilllegen zu lassen.

    Ausbleibende oder fehlschlagende Parteiausschlussverfahren fördert/subventioniert/belohnt nicht tolerierbares Verhalten, fordert es geradezu heraus. Parteien, die sich nicht gegenüber Störerern in ihren eigenen Reihen zur Wehr setzen können, verlieren ihre politische Handlungsfähigkeit, weil Störer jederzeit wieder zuschlagen werden.

    BILT: »Ypsilantis totaler Machtwille – auch gegen die SPD«

    BILT will mitregieren, koste es was es wolle. Wenn es sein muss eben auch auf Kosten einer der großen deutschen Volksparteien. Der Teaser der Nachricht endet mit dem Satz »Die Bundes-SPD hat resiginiert.« und unterstellt unterschwellig wie konsequent die Abneigung einiger weniger innerhalb der Meinung der gesamten Bundes-SPD.

    Rhetorik gegen die SPD, nicht über sie: Seifenblasen platzen, Wortbruch, Desaster, Anlauf zur Macht, nicht mehr viel Zeit, »Weil Ypsilanti bei Neuwahlen nur verlieren kann, liegt ihre einzige Chance in der Flucht nach vorn.«, Abweichler, »Ist ihre Zeit bald gekommen oder doch schon längst vorbei?« untertitelt man eine nachdenkliche Andrea Ypsilanti.

    Mitten im Artikel geht dem Autor bereits die Luft aus, er beginnt mit einem Rückblick in den März, als die Darmstädter Abgeordnete Dagmar Metzger vom selben Verlag zur ehrlichsten Politikerin Deutschlands gekürt würde. Wie man aktuellen Wortlauten von WELT und BILD allerdings entnehmen kann, handelt es sich bei diesem Titel um einen Wanderpokal.

    Dann unterläuft dem Autor im vorletzten Absatz ein entscheidender Fehler, hier zitiert er Hermann Scheer, designierter Minister für Energie und Wirtschaft mit einer historischen Tatsache: »Scheer veruwwies zudem auf die Tolerierung einer SPD-geführten Minderheitsregierung durch die PDS 1998 in Sachsen-Anhalt. Das sei ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl gewesen, und die habe die SPD klar gewonnen.«

    Ypsilanti absoluten Machtwillen zu unterstellen, zeigt wie blind der Kampagnenjorunalismus seinerzeit auf dem rechten Auge war. Roland Koch hat sich derweil zurückgezogen, der hessischen CDU bescherte das bei den letzten Umfragen abermals 5 Prozentpunkte. Wie sich Koch wohl verabschiedet haben mochte? Vielleicht so: »Ich packe meinen schwarzen Koffer und nehme mit: jüdische Vermächtnisse, Doppelpass-Kampagne, Stigmatisierung ausländischer Mitbürger, Theater/Schauspiel im Bundesrat«

    Mit BILT im Bunde gegen die eigene Partei

    Wer über BILT mit seiner Partei kommuniziert, führt Monologe. Und wer Monologe führt, erwartet keine Antworten. Dagmar Metzger hat das Anfang März 2008 sehr schön demonstriert, indem sie zwar immer wieder von den zahlreichen Einlassungen ihr gegenüber in den Massenmedien berichtete, in der Folge aber nahezu nicht mehr in Gremien der Partei zugegen war. Mir war als hatte ich mich verhört, als ich am besagten Abend in unserem Hotel an der türkischen Küste die Tagesthemen einschaltete und von Frau Metzer berichtet wurde. Vermutlich hätte ich mir am nächsten Tag auch die BILT mit dem Aufmacher »Dagmar Metzger: Ehrlichste Politikerin Deutschlands« besorgt, aber dazu gab es keine Gelegenheit. Aus dem heimischen Südhessen erreichte mich nur eine Schilderung der eilig anberaumten Sitzung unseres SPD-Unterbezirk, bei dem es hoch her gegangen sein musste. Und wie so oft spielte der damalige Vorsitzende, dessen Verwanderte zugleich im Parteirat über einen Ausschluss hätte verhandeln müssen, die Palastrevolution herunter. Das was man in den folgenden Tagen in der Lokalpresse über das Befinden der SPD lesen mochte, war das Gegenteil dessen was die Genossinnen und Genossen erlebten. Das phantasiereichste Zitat war, das wir nach einem Jahr Trommelfeuer durch die Massenmedien nun »von Neuwahlen kalt erwischt« würden.

    Wallraff belegt, man muss damit rechnen, das die anvertraute Geschichte bis zu einem gewissen Grad ausgeschmückt wird. Und man sollte sich nicht wundern, wenn einem fortan das selbe Vertrauen entgegeben gebracht wird, wie der Zeitung die man zu seinem Sprachrohr macht. Von Bild wird man erst vergöttert, dann verspottet, und das steht auch noch bevor, aber bedarf freilich noch eines Anlasses. Ich habe ja persönlich so eine Vermutung, wie das aussehen könnte. Doch zurück zum Thema: Herr Clement, Herr und Frau Metzger, Herr Riege, nutzten allesamt Bild um ihre verheerendes Selbstbild zum Ausdruck zu bringen, gerade solche Selbstzerfleischung wird von den Medien und insb. von gewissenlosen privaten Medien gern genommen und führt durch die unreflektierte Wahrnehmung zu einem Schaden, den die Sozialdemokraten wohl in Kauf nehmen. Offensichtlich belohnt die Öffentlichkeit solch unterhaltsame Selbstzerfleischung nur kurzfristig, denn obwohl Frau Metzgers nunmehr nicht mehr dem Landtag angehört, legt die SPD bei den Umfragen wieder deutlic zu. Natürlich sind sich die Betreffenden im Klaren ob der Wirkung ihrer Stellungnahmen gegenüber Blättern fragwürdigen Rufs.

    „Die phantastischen Vier“, unter Druck?

    Gern berichten „die phantastischen Vier“ vom Druck, der auf ihnen lastete. Vier Abgeordnete haben zunächst eine Regierungsbildung platzen lassen, um im Anschluss dafür personelle Konsequenzen zu fordern. Dann setzten sie ihre Partei unter Druck, indem sie ihr ein Ultimatum setzen. Flankiert wird das von einschlägiger, wohlwollender Berichterstattung durch Mainstream-Medien, die die phantastischen Vier nun genüsslich auf ihren persönlichen Websites dokumentieren. Das passte nicht. Das gleichnamige Buch offenbarte, das die betroffenen den Druck wohl kalkuliert aufgebaut haben, und wie sie ihn entweichen lassen konnten, um sich und das weitere Vorgehen in aller Abgeschiedenheit zu beraten.

    Hessisch Roulett

    Heide Simonis wurde in vier Wahlgängen durch einen Abweicher aus den eigenen Reihen verhindert. Das Selbstverständnis der phatanstischen Vier ist, man habe Ypsilanti das erspart, indem man vorher an die Öffentlichkeit gegangen sei.

    Andrea Ypsilanti wurde von den Medien mit Schmähungen und Häme überzogen, wo sich eine Gelegenheit bot: Lügilanti wurde sie genannt, Machtgeilheit vorgeworfen. Allen voran beteiligten sich BILT und SpOn an einer medialen Hetzjagd sondergleichen. Diese Kritik wirkte so in die Köpfe der Menschen hinein, das man tagsdrauf in Teilen wortidentische Diskussionen in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder am Abend in der Kneipe zuhören musste. Nun wehrt sich die Sozialdemokratie allerorten, doch das scheint den Medien vorbehalten. SpOn legt den Genossen Worte wie Judas, Kamikaze in den Mund, ohne die Zitate zu unterlegen. Als wäre das nicht genug, stellt man Szenen bildlich nach, in denen Genossen zwar zu 95 Prozent die Hand heben, dann aber »schläächt babbeln« täten. Dann folgt der Vorwurf man würde sich gegen die Basta!-Politik zur wehr setzen, um sie dann an den Tag zu legen. Gerne denke ich an Gerhard Schröder zurück, und muss schmunzeln bei dem Gedanken das sich Dutzend Fraktionäre plötzlich gegen den Afghanistan-Einsatz entschieden hätten, einen Tag vor der entscheidenden Abstimmung. Von Franz Müntefering erzählt man, er habe sich der einzelnen Delinquenten nach und nach angenommen. Kritik an ihm wurde seinerzeit kaum laut, jedenfalls nicht aus den vorgenannten Magazinen und Blättern.

    Ypsilanti ist daraus aufrecht hervorgegangen, wohingegen „die phantastischen Vier“ aus dem Hinterhalt aggiert haben und sich danach wegduckten Ich mag an das ehrenhafte Ansinnen der vier Vorzeigesozialdemokraten nicht so recht glauben.

    Ministerpräsident Koch hatte sieben Leben und vier neue Freunde.

    Carmen Everts gab zu Protokoll, sie würde sich eine Auszeit nehmen und sei in den nächsten Tagen nicht erreichbar. Gleiches gilt vermutlich für alle drei: SPD-Landesvorstand und SPD-Landesfraktion haben weder Dagmar Metzger noch ihre drei Unterstützer aufgesucht. Einem klärenden Gespräch mit Andrea Ypsilanti haben sich alle entzogen. Zuletzt hies es aus dem familiären Umfeld von Dagmar Metzger wohl, das sie untergetaucht in Klausur gegangen seien seien.

    Koch muss lang vor Ypsilanti von dem Ansinnen der Vier gewusst haben, das geht aus „Die phantastischen Vier“ zur Beschaffung von Personenschutz hervor. Vielleicht hat er den Parteitag der Hessen SPD im Internet verfolgt, und dabei wissend gelächelt. Zuzutrauen wäre es ihm, denn auch bei den Debatten im Landtag hat er alle Kollegen mindestens einmal wissentlich und in Kenntnis eines Formfehlers vor die Wand laufen lassen – „der Dienstleister des Parlaments“.

    Nachrichtenschöpfung

    Kampagnenpresse hat Sprichwort „Lügen wie gedruckt“ neu beflügelt, auch in Form namenloser Zitate: Wie in Berliner Parteikreisen zu erfahren ist, waren Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier und Parteichef Franz Müntefering nicht betrübt über Ypsilantis Scheitern bei der Ministerpräsidentenwahl. „Die soll die Suppe auslöffeln, die sie uns einbebrockt hat“, sagte ein Spitzengenosse zu stern.de. „Dass Ypsilanti auch eine dritte Niederlage politisch überleben könnte, gilt als ausgeschlossen. Roland Koch (…) im Januar vermutlich eine satte Mehrheit gewinnen“ orakelte man, und wurde widerlegt.

    Hessen wählt neu.

    Auf die kürzeste Legislaturperiode folgt in Hessen der kürzeste Wahlkampf, 16 Jahre Koch standen in Aussicht. Wenn Hessens SPD jetzt nicht punktet, würde das die gesamte Partei in den Landtags-, Bundestags- und Europawahlen dorthin katapultiert, wo selbst Peer ‚Pest und Cholera‘ Steinbrück und Franz-Walter Steinmeier ein Versorgungsfall und Franz Müntefering ein Fall für seine eigene Rente mit 67 ist: In Opposition.

    Viele SPD-Politiker aber vor allem auch -Familien in Darmstadt, Hessen und im Bund hatten ihren Zenith überschritten, am Beispiel der Familie Metzger in Darmstadt, deren Vordenker Günther Metzger, biblische 75 Jahre jung, inzwischen über eine eigene Parteigründung nachdenkt, Mathias Metzger, sein Sohn ist inzwischen aus der Partei ausgetreten, Dagmar Metzger ein eigenes Kapitel.

    Neuwahlen in Hessen

    Vermutlich weil man noch warm war, schossen sich die Massenmedien nach Ypsilanti sogleich auf TSG ein: Das Brillengestell, der Doppelname, das er Bayernfan sei und Chavez mit einer Unterschrift unterstützt habe, wurde auf einmal Thema. Wochen vor der Wahl gab es zwar wichtigeres zu berichten als was nun gemutmaßt wurde, das hielt aber die Boulevardmedien Qualitätsjournalisten nicht davon ab sich geschlossen auf das Niveau eines Bravo-Starschnitt zu begeben.

    Der hessische CDU-Generalsekretär Michael Boddenberg sagte im Anschluss zur Frankfurter Rundschau: „Die Personalentscheidung zeigt, dass sich die hessische SPD wie eine Sekte verhält.“ Mit der Benennung „ihres Jüngers Thorsten Schäfer-Gümbel“ „Schäfer-Gümbel ist einer der maßgeblichen Befürworter des Wortbruchs und ein glühender Verfechter eines Bündnisses mit der Linken“, sagte Boddenberg. In den Koalitionsverhandlungen habe er „aus lauter Machtgier“ den Verzögerungen beim Flughafenausbau zugestimmt. Die SPD werde „mit einem anderen Kopf gegen dieselbe Wand rennen“. Das es ausgerechnet die hessische CDU in Person ihres Generals Boddenberg sein sollte, der solch eine Kritik äußert, verwundert auch in Hinblick auf das exzellente Wahlergebnis dessen Vorsitzenden Roland Koch: um 100 Prozent waren es, plus minus fünf Prozentpunkte vielleicht.

    Doch, eines war da noch: Astrid Starke fordert Ypsilanti heraus, die ihrerseits wieder als Landesvorsitzende kandidieren wollte. Frau Starke war das andere unbeschriebene Blatt in diesem Wahlkampf, und sollte es auch bleiben. Denn die Herausforderung hielt ungefähr so lang wie die Ente, »Ypsilanti will Weilburger versenken«, über die ich an der Haltestelle seinerzeit sogar Leute diskutieren hörte. Mit anderen Worten: Die SPD war weit vor dem Zeitpunkt schon so weit durch die Medien diskreditiert worden, das man den Rezipienten sogar verkaufen konnte, das Ypsilanti zu Gunsten eines Staudammes ein ganzes hessisches Dorf versenken wolle.

    Vor der Wahl ist nach der Wahl ist Zeit zur Abrechnung. 23,7% ging die Rechnung auf.

    Ursache und Wirkung

    Wer glaubt wir seien nicht wegen unseres wegweisenden Regierungsprogramms gewählt worden, sondern wegen eines nicht einlösbaren Versprechens, wer meint jene knapp zehn Prozent, die wir lt. Umfragen in Hessen seit der Intervention von Dagmar Metzger eingebüßt haben, hätten uns nur gewählt, weil wir nicht mit ehemaligen Mitstreitern paktieren würde, lebt statt im Hier und Jetzt mit Blick auf das Morgen im neuen Jahrtausend in den Grenzen von ’89. Niemand wird uns Sozialdemokraten mehr wählen, wenn wir uns nicht eine und nur eine Eigenschaft der Christdemokraten zu eigen machen, die Herr Boddenberg kürzlich auf dem 100. Parteitag seiner Partei in Erinnerung gerufen hat: Kritik ist erlaubt, aber hinter verschlossenen Türen und nicht im heißen Draht zur Springer-Presse. Trotzdem, lieber Günther, pardon, liebe Dagmar, Glückwunsch zum Mandat!

    Hessens Wählerinnen und Wähler haben den Wechsel gewählt, jetzt bekämen sie bei Neuwahlen vermutlich Roland Koch und Jörg-Uwe Hahn.
    »Neun Jahre Koch waren schlimmer als 16 Jahre Kohl.« antwortete ich auf die Frage hin, warum ich mich für Andrea Ypsilanti, die hessische SPD und unser Regierungsprogramm engagierte.

    In der hessischen SPD hat die Geschichte so manchen wandelnder Karriereknick´und zwei scheintote Flügel1 hinterlassen. Darum schon jetzt, ein gut gemeinter Rat: Ob im Wiesbadener Nobelhotel Raum “Genf” oder zum Skifahren in Chur: Wichtig ist, nicht vom Kurs abzukommen.

    Leseempfehlungen

    1. Seeheimer Südhessen Edition, Netzwerk Hessen []
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