Jugendmedienschutz-Staatsversagen

Mittlerweile verfolge ich rund 100 Blogs, plus zahlreiche sonstige Feeds. Erstere mehr oder wenig regelmäßig und letztere nach sich bietender Gelegenheit, zeitlich oder thematisch. Normalerweise eine überschaubare Menge, aber nicht genug um sie sich alle zu merken, sodass man sie im Ausland am Terminal mal eben eingeben könnte, um Wartezeiten zu überbrücken oder das Heimweh zu bekämpfen. Die wunderbare Welt des Isotopp jedenfalls gehörte dazu, zu den Adressen die auch aus dem Gedächtnis zusammen bekam.

Heute reist die Hohepriesterin des Kinder- und Jugendschutz, Stefanie von und zu Guttenberg mit ihrem Mann an die Front, wo angeblich unsere Freiheit verteidigt wird, nach Afghanistan. Umso widersprüchlicher ist, das sie mit ihrer Sendung „Tatort Internet“ auf RTL 2 der Einschränkung unserer Freiheit hierzulande Vorschub leistet, indem sie unter dem Motto „Schützt endlich unsere Kinder!“ zwar nur Kinder und Jugendliche gefährdender Inhalte filtern möchte. Doch tritt sie damit nur in die Fußstapfen von Ursula „Zensursula“ von der Leyen, die noch Stoppschilder forderte, während die nächste Eskalationsstufe, der JMStV Mittel und Wege vorsieht, die geradezu nach allgemeiner Zensur stinken. Da ist die viel zitierte visuelle Kennzeichnung nur das Äquivalent zum Stoppschild, dahinter schlummert eine noch nicht implementierte technische Infrastruktur zur automatischen Erkennung der weitergehenden, maschinenlesbaren Kennzeichnung, Filtersoftware am Client und möglicherweise auf dem Server, Öffnungszeiten für Websites und gesalzene Geldstrafen für jeden Publizisten, privat oder geschäftlich, der sich nicht an die Regeln hält.

Wenige Blogs aus dem Gedächtnis ansteuern zu können lässt dabei keinen Rückschluss auf meine Merkfähigkeiten zu, genau so wie sich niemand mehr Rufnummern merkt, weil sie einen im Telefonbuch des Mobiltelefon immer begleiten kümmert sich der Feedreader um Aktualisierung und Präsentation, also warum sollte man sich die Adressen noch merken?

Doch die Adresse koehntopp.de kann ich getrost vergessen. In drei Wochen wird auch das letzte Statement dort aus dem Netz verschwinden, genau so wie es vom Gesetzgeber erwartet wird und den Massenmedien gewünscht ist: Vielfalt ist halt Vielen ein Dorn im Auge, und durch geballtes, auch von meiner Partei unterstütztes Jugendmedienschutz-Staatsversagen geht ein Medium, das noch bis vor Kurzem mit wehenden Fahnen als state of the art in Deutschland willkommen geheißen wurde, vom Netz und verschwindet auch aus den Archiven. Ganz ohne Grund und mit einem bitter formulierten Abschiedsbrief1. Armes Deutschland.

  1. in Auszügen: »Daher bleibt mir nur die Konsequenz, die Regeln für Internet-Startups auch auf meine eigenen Inhalte anzuwenden: „Nicht in Deutschland, nicht in deutscher Sprache und nicht für Deutsche.“ Daher sind meine bisherigen Inhalte bis auf weiteres offline, und falls ich noch einmal irgendwas mache, dann in einem Land, das Zukunft hat. Nicht Deutschland.« []
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