Viele Verlierer, Grüne Gewinnler: Bürgerentscheid zur Nordostumgehung
Vom gestrigen Bürgerentscheid hatten sich Befürworter und Gegner der Nordostumgehung für ihre jeweilige Position eindeutigen bürgerschaftlichen Rückhalt versprochen, doch ausschliesslich die gescheiterten Gegner können als Sieger bezeichnet werden, haben sie doch immerhin eine deutliche Mehrheit der abgegebenen Stimmen gegen den Bau der Nordostumgehung mobilisieren können.
Gegen mehrere zum Teil sehr teure1 Kampagnen u.a. der Stadt Darmstadt, der Industrie- und Handelskammer, der FDP und nicht zuletzt meiner eigenen Partei behaupten können hatten die Gegner beharrlich Veranstaltungen organisiert, politische Entscheidungsträger kontaktiert, untereinander vernetzt und ganz Darmstadt mit einer kreativen Plakatkampagne überzogen.
Ausgerechnet dort, wo die Befürworter der Nordostumgehung die größte Verkehrsentlastung versprochen hatten, überwog die Ablehnung derselben am deutlichsten. Dabei erduldeten eben jene Anwohner des Rhönring am Sonntag mehr Verkehr als üblich, denn der Martin-Luther-King-Ring und die einstmals als Schnellstraße durch Darmstadts Martinsviertel geplante Osttangente war wegen des 21. Bürgerparktriathlon gesperrt worden. Der Verkehr, dem sich die zur Wahl aufgerufenen Bewohner auf dem Weg zu ihren Wahllokalen ausgesetzt sahen, war bis kurz vor Schluss der Wahllokale deutlich mehr.
Trotzdem votierten genau dort drei von vier Stimmberechtigten mit Ja beim Bürgerentscheid, dem Nein zur Nordostumgehung. Nur in Eberstadt, wo wenige Wochen zuvor die Sperrung der Umgehung für ein Verkehrschaos sorgte, verzeichneten die Wahllokale Befürwortung. Doch Eberstadt profitiert in keinster Weise vom Bau der Nordostumgehung, und kann daher nicht ausschlaggebend bezeichnet werden.
Leider eben nur nicht genug: Knapp 300 Wahlberechtigte fehlten, das in Hessen erforderliche Quorum wurde nicht erreicht. Den Bürgerentscheid an die Landtagswahl 2009 zu knüpfen, oder noch bis zur Bundestagswahl zu warten, um eine höhere demokratische Legitimation zu erzielen, wäre kein Problem gewesen. Spekulationen, wonach die Europawahl gezielt ausgewählt wurde, weil das Quorum möglicherweise nicht erzielt werde könnte, will ich mich nicht anschließen.
Vielleicht hätte aber auch das Quorum erreicht werden können, wenn eine sich um fast ausschließlich um Mitglieder der die Umgehung befürwortenden Parteien zusammensetzenden Parteien – namentlich CDU, FDP und SPD – kurz vor dem Bürgerentscheid in einer „Bürgerinitiative“ zusammenfanden. Sogar bekanntlich einander in gegenseitiger Abneigung verbundene ehemalige Oberbürgermeister unterzeichneten eine gemeinsam Anzeige zu Gunsten der Nordostumgehung.
Sicherlich kann auch den Gegnern der der Nordostumgehung viel Vorwürfe gemacht werden, beispielsweise gezielt öffentliche Veranstaltungen aufgesucht und für sich eingenommen zu haben. Wenn aber deren Veranstalter nicht in der Lage sind mit ihren Argumenten zu überzeugen, wo liegt dann das Fehler?
Darmstadts Oberbürgermeister Walter Hoffmann hat immerhin eingeräumt, das ein in der Bürgerschaft mehrheitlich abgelehntes Projekt nicht um jeden Preis umgesetzt werden muss. Die Darmstädter Ampelkoalition indes hat die nun erforderliche neuerliche Abstimmung auf der Agenda in den Herbst verschoben, offenkundig um die Wogen zu glätten. Wenn die hiesigen Grünen bis dahin nicht ihre Meinung ändern sollten, womit ihnen ein erheblicher Schaden und Gesichtsverlust entstehen würde, könnte von Herbst an mit wechselnden Mehrheiten regiert werden. Darmstadts stärkste politische Kraft bei der Europawahl, die Darmstädter Grünen, will aber auch ihre neue Dezernentin durchsetzen, eigenem Bekunden nach aber wiederum nicht um jeden Preis.
Allein der der Nordostumgehung dürfte somit feststehen: 200 Millionen Euro und mehr, wenn man von der üblichen Entwicklung der Kosten Projekte solcher Größenordnung voraussetzt. Wenn darin nicht mal eine neue Straßenbahn vom Ostbahnhof, ein anständiges Radwegenetz, eine Sanierung von Ostbahnhof und Rhönring, eine Verdichtung des ÖPNV-Taktes und einige intelligente Ideen enthalten sein sollte, steht in 30 Jahren die nächste Entscheidung über den von der Nordostumgehung neu angezogenen Verkehr an.
- 113.000 Euro allein von der Stadt Darmstadt [↩]