Die Welt ist nicht genug
Als Sigmar Gabriel neulich meinte „sie“ also wir »kennen die Welt jenseits des Internet nicht«, reflektierte er nur frustriert. Das alte graue Männer das Internet nicht verstünden muss er sich an sich addressiert anhören seitdem er sich entschieden hat jener Subkultur anzugehören und dorthin hoch zu arbeiten, was manche gern als „Elite“ oder Spitzen bezeichnen. Dabei sind die alles besser wissenden „Spitzenpoltiker“1 und die über allem thronenden „Elite“-Twitterer2 sich in so vieler Hinsicht ähnlicher als sie meinen.
Fraktioniert wird nicht entlang Betriebssystemen, Browsern oder Geräteklassen, nach Geschlecht, Wohnhaft oder Alter. Es gibt so unendlich viele Silversurfer mit mehr Ahnung vom Netz als Menschen meines Alters3, die das Internet nur zum Shopping und für den Versand von E-Mail nutzen. Die Grenzen verlaufen ganz woanders. Die Gruppen grenzen sich ab, wie die beiden Diskutanten und -onkel auf dem Panel. Sie grenzen die jeweils andere Gruppe aus, gern auch mit dem Mittel vergifteten Lobs, wie im Fall der Einladung von Sigmar4. Wohl wissend das man sich gegenseitig nicht treffen und einenander seine Welt zeigen will, sondern mit dem Totschlagargument nur die gegnerischen entkräften will. Das Sigmar das nötig hat glaube ich nicht, aber ich verstehe zugleich einerseits das er – wie die meisten Spitzen und Eliten – die Bodenhaftung verloren hat und „ihre Welt“ mit der Aller verwechseln und andererseits solch ein Schattenboxen wie auf dem Spiegel-Panel auch ermüdet. Was man da beobachten konnte ist ein ermüdeter Berufspolitiker, der für sich in Anspruch nimmt Millionen ein besseres Leben schenken zu wollen. Auf der anderen Seite sitzt eine Repräsentantin seiner Zielgruppe, schließlich will unsere SPD denen „Irgendwas mit Medien“ und Künstlern das Leben lebenswerter machen. Anstatt aber auf Gemeinsamkeiten und Schnittmengen zu setzen, setzten beide sich voneinander ab. Sigmar Gabriel diskreditierte vor laufender Kamera einen ganzen Industriezweig, den digitalen nämlich, indem er ihm tiefer gehende Kenntnis des real life absprach. Dabei spricht Sigmar nur aus einer anderen Blase, denn wie zigtausende anderer hat er sich nicht für einen der harten Industriejobs oder noch härteren im sozialeren Sektor bemüht, sondern hat den Weg eines Berufspolitiker eingeschlagen. Er pumpt um andere eine Blase auf, sitzt dabei selbst aber selbst wie in einem Glashaus in Berlin Kreuzberg vor zwanzig Jahren: Die Berliner Republik aus der Perspektive des Spitzenpersonals ist fraglos genau so ein Mikrokosmos wie beispielsweise die 140 Zeichen hunderter Millionen Twitter-Nutzer, mit einem wesentlichen Unterschied: Den einen ist die Plattform Unterhaltungswert, sie sitzen in einer Berliner Café, die anderen flitzen im Dienstwagen davor vorbei und wollen für den Unterhalt einer schrumpfenden Gesellschaft von gegenwärtig 80 Millionen Menschen sorgen. Dazu gehört endlich auch anzuerkennen das IT eben auch Industrie ist, und sich nicht nur aus denjenigen zusammensetzt, die handverlesen auf den regelmäßigen IT-Gipfel geladen werden. Das heterogene Feld der Informationstechnologien lässt beinah so viele Ausprägungen zu wie es Mitarbeiter zählt. In den Unternehmen sitzen so viele Menschen mit Ideen, die zum Teil besser auserhalb aufgebhoben wären. Und dieser Ehrgeiz sind zarte Pflänzchen, die Dünger brauchen um zu sprießen. Die dazu in den Koalitionsverhandlungen besprochenen Rahmenbedingungne – namentlich 72 Stunden Gründungen und flächendeckende Breitbandanbindung – sind ein guter Anfang, und es wäre Sigmar Gabriels Aufgabe sie zu pflegen anstatt sich mit ihnen anzulegen. Die kleinen Gründungen werden so wichtig wie Mittelständler, sie bilden das Fundament eines dezentralen, neuen IT-Sektor. Viel zitierte Global Player wie die Darmstädter Software AG oder die Walldorfer SAP sind nur diejenigen, deren Namen über Deutschland hinaus bekannt sind, weil sie allein ob ihrer Größe schon unübersehbar sind. Es sind keine von Kreativität und Erfindungsgeist geprägten Neugründungen wie diejenigen aus dem Silicon Valley. Doch genau deren Vorläufer, kleine agile Gründungen sind es, denen Sigmar auf die Beine helfen will, glaube ich. Und ich finde das gut.
Sigmar Gabriel sollte es, anstatt anderen seine Welt zu zeigen, lieber so halten wie Andrea Nahles im Bundestag5. Wer heute noch vorwiegend auf traditionelle Industrien wie den Autobau setzt, dem wird bald der Spritt ausgehen. Die neuen Schlüsselindustrien sind ja schon thematisch besetzt, jetzt müssen unsere Spitzenpolitiker nur noch lernen ihre zukünftig Rolle zu begreifen. Anstatt unsere Geschichte wahlweise zu feiern oder zu betrauern und in der Gegenwart zu verharren, müssen wir uns nur entscheiden, für eine schönere, sicherere6 und sauberere7 Zukunft.
- auf allenen Ebenen [↩]
- wobei „Twitter-Elite“ hier nur stellvertretend steht für all das Führungspersonal des jeweiligen digitalen Spektrums [↩]
- 36 [↩]
- „Ich lade sie ein meine Welt kennen zu lernen.“ [↩]
- Im Juli 2013 hatte Andrea Nahles noch erklärt „nur unter der Dusch und in der Kirche“ zu singen, in der letzten Sitzung trällerte Andrea vor dem versammelten Bundestag Pippi Langstrumpf [↩]
- ohne Nazis und Terroristen (oder Nazi-Terroristen) aber auch ohne NSA, mit neuen Passworten statt simplen Zahlenfolgen (via Golem: Die 100 beliebtesten Adobe-Passwörter) oder Nackt- und Fingerabdruckscannern [↩]
- mit erneuerbaren Energien statt Kohle und Kernkraft [↩]