Mit offenem Mund und aufgerissenen Augen
Mit offenem Mund und aufgerissenen Augen fuhr die Frau ihren Kleinwagen an mich heran. Mir war der Wagen sofort aufgefallen, weil er so langsam an die Haltelinie heran rollte und die Fahrerin ihren Blick gen anderer Fahrtrichtung gewandt hatte und ihre Blickrichtung partout nicht ändern wollte. In der Fahrschule lernt man die Reaktionszeiten kennen, lernte man jedenfalls als mein Vater im zarten alter von 40 seinen und ich mitmachte. Als damals in Frankfurt lebender pubertierende Teenager fuhr ich nicht zwangsläufig sondern gern Rad, überall hin und bei jedem Wetter. Auf dem rauen Frankfurter Pflaster1 musste man für alle anderen Verkehrsteilnehmer mitdenken: Für Fußgänger und ihre Angewohnheit in den unmöglichsten Momenten spontan die Richtung zu ändern. Für Lastwagenfahrer, die einen im toten Winkel unbewusst überrollen konnten. Für PKW-Fahrer in allen Lebenslagen: im Parksuchverkehr, auf eine dunkel gelbe Ampel hin rasend, für sich die komplette Fahrbahn in Anspruch oder einem die Vorfahrt nehmend. Doch die schlimmsten Autofahrer sollten erst noch kommen: Einerseits Intensivnutzer ihrer Mobiltelefone, andererseits Rentner. Beide Gruppen eint das schon erwähnte verringerte Reaktionsvermögen. Hinzu kommt, das ich früher nur normalen Kraftfahrzeugen oder besagten Kleinst- bis normalen LKW gegenüber sah, an deren Steuer aber meist halbwegs befähigte und erfahrene Berufskraftfahrer saßen. Zwischenzeitlich kam dann Vans hinzu, die letztlich von so genannten SUV abgelöst wurden, kurzum: Über einen Kombi kann ich noch drüber sehen, mit meinen 1,94m wurde es aber bei Vans schon knapp und die tendenziell höheren SUV sind schlicht eine Blickbarriere. Noch schlimmer ist das wuchtige Gefährt allerdings für viele Fahrer, insbesondere wenn ihnen Autofahren an sich nicht liegt, wie das bei vielen SUV-Fahrern leider zu beobachten ist; als Radfahrer empfindet man das übrigens eher als auf Augenhöhe. Macht aber alles nichts, wenn der andere Verkehrsteilnehmer einfach so nicht bei der Sache ist. So die Dame, die nach Sekunden mit offenem Mund und aufgerissenen Augen auch ihre Gliedmaßen in ihre Reaktion einband. Und so bremste der Kleinwagen, die Frau verharrte in der Mimik, ich fuhr ungebremst auf der Vorfahrtstraße weiter.
Ich habe nie einen Führerschein gemacht, aber allen Inhabern empfehle ich auch nach Vollendung des 18 Lebensjahrs von Zeit zu Zeit Rad zu fahren, denn nur so erfährt man im wahrsten Sinn des Wortes wie nah und ohne Knautschzone schwächere Verkehrsteilnehmer unterwegs sind.
- nicht zuletzt wegen der vielen Offenbacher [↩]