„Elterngeld für Mutti und den selbst ernannten Landesvater“
Im April 2005 trat ich in die SPD ein, im Mai wurden Neuwahlen verkündet, von September an stand fest das die SPD in eine Große Koalition eintritt. Vier Jahre später erhielt die SPD dafür die Quittung, alle Wege Seit an Seit mitgegangen zu sein: Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren, um nur zwei unrühmliche Beispiele zu nennen, für die unsere Fraktion verantwortlich zeichnete. Für alle progressiven Bestandteile der zweiten Merkel’schen Regierungszeit zeichneten vor allem rote Kabinettsmitglieder verantwortlich, einer trat letztlich als Kanzlerkandidat an und von einem ins nächste Fettnäpfchen. Das nun mehrheitlich von Vollzeit- statt Vollblutpolitikern gefordert wird, vorbehaltlos und nur auf Basis unseres Regierungsprogramms auch mit der Union zu verhandeln kann nur als Beschäftigungsmaßnahme verstanden werden. Unter dem Eindruck das schon alles in trockenen Tüchern sei, habe ich gestern einen offenen Brandtbrief an meine Partei geschrieben und werde mich auch weiter an der in aller Hinsicht öffentlichen Debatte beteiligen, die diese Partei verdient hat.
Insgesamt kein Jubel-Ergebnis für die SPD, aber immerhin sind FDP und AfD draußen und wenn sich weder unsere noch die Grüne einkaufen lassen könnte es eine spannende Zeit für uns und eine schwierige für Mutti und Landesvati werden. Merkel und Bouffier kommen wechselnde Mehrheiten weder gelegen, noch gelingt es die nötige Geduld aufzubringen, mit der nicht absoluten Mehrheit umzugehen: Bouffier, Kauder und Gröhe, Axel Springer, Focus und Spiegel, alle sind darum bemüht die Opposition, die noch keine ist, unter Druck zu setzen. So rührig ist keine selbstbewusste Regierung, so unruhig ist nur ein verunsicherter Kanzlerwahlverein. Einen vor Kraft strotzenden Freistaatstar kann man dagegen in Persona Seehofer jenseits des Weißwurstäquator besichtigen: Der schließt Bündnisse (vulgo: „Ausschließeritis“) aus als wäre heiße Wahlkampfphase, und wirkt damit nicht wie eben aufgezählte, die alle wirken als hätten sie Schaum vor dem Mund. Möglicherweise ist auch dieser zur Schau getragene unbedingte Wille zum Machterhalt, der in der Berliner Union zur Zeit zu beobachten ist, kombiniert mit den gespielt souveränen Äußerungen des obersten Horst in Bayern ein guter Indikator dafür welche Spannungen in und zwischen CDU und CSU inzwischen herrschen. Mit der absoluten Mehrheit hätten Nicht-/Wähler den status quo zementiert und die sich nun anbahnenden Einschnitte für 95% der Bürgerinnen und Bürger Europas legitimiert. Nun ist Deutschland einen Schritt weiter: Ohne absolute Mehrheit keine quasi totalitären Machtverhältnisse mitten in Europa, und möglicherweise das demokratischste Parlament die diese Republik je erlebt hat. Mich würde sehr freuen, wenn die SPD hierzu im 150. Jahr ihres Bestehens beitrüge, und sich nicht zum Steigbügelhalter von Mutti degradieren ließe. In der Ruhe liegt die Kraft, das muss auch die vor Kraft strotzende Union endlich kapieren.
49% Spitzensteuersatz und ein paar Ministerposten dürfen nicht alles sein, was von dem ambitionierten Wahlprogramm übrig bleibt, für das immerhin jeder vierte Wähler sein Kreuz gemacht hat. Es liegt nun an uns allen, Sozialdemokraten, Linken und Grünen, die Vorlage des Wählers zu verwandeln, aber vorher müssen wir Merkel den Ball auch wieder abnehmen.
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