Lüttich sehen und sterben, oder: Lüttich ist überall, jederzeit und alles
Lüttich geriet heute ins Fadenkreuz, zunächst in das eines „Waffennarr“, wenig später dann in das der Medien und bald darauf dann auch der Politik.
Lüttich in Belgien scheint ein ähnlich pittoresker Ort wie Brügge. Insofern erklärt sich auch der Titel und man verzeihe mir den pietätlosen, an den (uneingeschränkt empfehlenswerten) Film „Brügge sehen und sterben“ angelehnten Titel. 3 Menschen starben und über 120 weitere wurden verletzt, kein Grund für allzu leichtfertige Formulierungen möchte man meinen. Man würde auch richtig liegen, wenn wir denn in Zeiten und an Orten leben würden in denen noch normale Maßstäbe an Moral angelegt würden. Doch dem ist nicht so.
Allein was der interessierten Öffentlichkeit im Laufe des Tages an Berichterstattung in Echtzeit zugemutet wurde, entbehrt schon jedwedem Anspruch an gewissenhaftem Journalismus. Dabei kann ich nur aus vierter Hand berichten. Süddeutsche „berichtete“ von der Echtzeitberichterstattung aus Lüttich beispielsweise »“Die Zustände sind chaotisch“, sagte der Vater eines verletzten Kindes dem Fernsehsender RTL nach dem Anschlag. „Es war grauenhaft, alle versuchten, sich panisch in Sicherheit zu bringen.“« wird ein anderer oder der selbe Augenzeuge zitiert. So genau wird im Artikel der Süddeutschen nicht differenziert. Deren Qualitätsjournalismus in diesem Absatz erschöpft sich allein mit dem Hervorwürgen eben jener Zitate des Privatfernsehen. Mal ganz abgesehen davon, welchen „Mehrwert“ so eine reißerisch formulierte Liveberichterstattung hatte oder ihr Wiederkäuen hat, nämlich keinerlei: Erlebnisorientierte Trittbrettfahrer werden von derart Berichterstattung nicht gerade abgeschreckt. Und ich behaupte, diese Zielgruppe sieht sich lieber auf N24 & Co. das neueste Nichts in einer Endlosschleife als die Tagesthemen an.
Doch damit nicht genug: Von den zu Anfang erwähnten normalen Maßstäben an Moral sind wir ja weit entfernt und so sehen sich auch Politiker bei Vorfällen wie diesen allenfalls des rudimentärsten moralischen Kodex verpflichtet, was sie damit zum Ausdruck bringen den Angehörigen der Opfer ihr Anteilnahme und/oder Mitgefühl auszudrücken. So weit so gut.
Merkels moralischer Kompass schlägt bekanntlich in jede sich bietende opportunistische Richtung, ausgehend von der an der Tagespolitik orientierten Grundstellung. Da passiert es dann schon häufiger, das an einem Tag Atomkraft unabdingbar als Lückenfüller einer vermeintlichen „Energielücke“1 gehandelt und am nächsten Tag als todbringendes Teufelszeug abgetan wird. Derzeit gibt es derart viele Kehrtwenden der Konservativen, insbesondere in von Neusprech durchdrungen Politikfeldern, das es schwer fällt Grundwerte zu erkennen. Alles wird an den Interessen derjenigen Lobby ausgerichtet, die dem Machterhalt dient. Da helfen Energiekonzerne, deren Portfolio sich aus Atomstorm speist, nur bedingt. Ihnen kommt man aus traditioneller Verbundenheit durch Erlass von Steuern oder Beteiligung an Kosten aus der Patsche. Modus Operandi aber sind die Bilder aus Fukushima, von wo aus das zweite Mal binnen zweier Jahrzehnte der fünfte von Null möglichen Super-Gau sogar den hiesigen konservativen Wählerinnen und Wählern Endzeitstimmung verabreicht.
In so einer von Opportunismus geprägten Lobbykratie fehlt es folglich an echten Lösungen, und so richte ich mein Augenmerk auf ein anderes Politikfeld, das vor beinah drei Jahren die Gemüter erhitzte und eigentlich dieser Tage für Aufruhr sorgen müsste: „liberale Waffengesetze“. Im März 2009 hatte Innenminister Heribert Rech am Tag nach den Anschlag von Winnenden die Ursachen ergründet. Und das waren das Internet und „Killerspiele“. Nun hielt seine These nicht all zu lang. All zu lang hatte die Politik nun aber Zeit sich mit einem Problem auseinander zu setzen, das abermals ihre Wählerschaft tangiert. All die Waffennarren nämlich, wie der von Lüttich, haben trotz teils zweifelhaftem Hintergrund keine Probleme sich eines Besorgnis erregenden Waffenarsenal zu bemächtigen. Nicht das ich bedrohten Personen und Persönlichkeiten nicht ihr Recht auf Selbstverteidigung zubillige – meinetwegen auch Popsternchen ihr Heer breitschultriger Personenschützer. Doch wenn jeder mit Waffenschein sein Arsenal zu Hause im zu verriegelnden Schrank aufbewahren darf, in dem im Zweifelsfall eben nicht das lagert was Opa aus dem Krieg mitgebracht hat oder derjenige selbst aus dem Urlaub mit gebracht hat, oder eben die illegal erworbenen Granaten, also spätestens hier Kriegswaffen, dann kann man dagegen ja nicht mehr mit Mundsalven a la „Killerspiele verbieten!“ etwas ausrichten. Und wer etwas anderes behauptet, lügt – erst sich selbst in die Tasche und dann in die sich bietenden Kameras.
Was gebraucht wir sind staatliche Kontrollen, und zwar unangemeldete, zufällig terminierte und zugeteilte. Das so etwas die dafür in Selbstschutz ausgebildete und mit Fachkenntnis ausgestattete Polizei erledigen sollten, ist klar. Das der Polizei aber – wie bei Verkehrskontrollen üblich – auch öffentliche Verwaltung helfen könnten auch. Hilfloser als „subjektives Sicherheitsempfinden“ kann öffentliche Sicherheit nicht angepackt werden. Mit Maßnahmen wie spontanen, sporadischen Kontrollen wäre der öffentlichen Sicherheit viel eher geholfen. Wer hingegen einer Verwahrung zustimmt, beispielsweise bei der Polizei oder den Ordnungsämtern, der hätte derartige Kontrollen nicht zu fürchten. Ausnahmen für berufstätige Waffeninhaber – beispielsweise eben wieder Polizisten oder Jäger von Amts wegen, könnten davon ausgenommen werden: Amok laufende Polizisten und Jäger sind mir jedenfalls nicht bekannt. Wer hingegen durch unsachgemäßen Umgang mit der Waffe auffällig wird, dem sollte der Zugang dazu auch permanent verwehrt werden.
Alldem steht nur etwas im Wege, das wieder etwas mit Lobbykratie zu tun hat, dieses Mal allerdings weniger zum Nutzen einiger weniger Konzerne, sondern einer Vielzahl Hobbyisten, darunter Sportschützen, besagte Personenschützer, Polizisten und Schlapphüte. Und die sind überwiegend der Gruppe konservativer Stammwähler zuzuordnen. Spätestens wenn man dann hinzuzählt, das CDU/CSU als selbsternannte „Partei der inneren Sicherheit“ für den Themenkomplex federführend zuständig wären, wird aus 1+1 2.
Nichtstun kostet Menschen Leben. Das gilt auch für Rechtsterror, die Atomkraft, dem Dioxin in Futtermitteln etc.pp. Wenn den Konservativen der deutschen Politik auf solche ihnen als Kompetenz- zugerechneten Problemfelder keine Antworten in den Sinn kommen, haben sie in den entsprechenden Funktionen auch nichts verloren. Ebenso wenig wenn sie das Falsche tun, und keine Konsequenzen daraus ziehen, wie bei der Vorratsdatenspeicherung oder der Quellen-TKÜ.
Die Konservative ist eine Schande.
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