0zapftis, Saupreiß!

Ziemlich, vergleichsweise oder unverhältnismäßig früh begann ich, Tagesschau und andere Nachrichtensendungen zu verfolgen. Das war teils erschreckend, beispielsweise beim ersten Irak-Krieg, dem Zerbrechen des Vielvölkerstaates Jugoslawien oder dem immer wiederkehrenden Thema Palästina.

Bundestrojaner alias 0zapftis auf der Titelseite der Frankfurter Allgemeinen SonntagszeitungManchmal war es auch unbeabsichtigt komisch, beispielsweise als in der Tagesschau vor dem Computervirus Michelangelo gewarnt wurde. Eine Kopie dessen trage ich noch heute mit mir herum, und nachdem ich am Wochenende nach zähem ringen meine alte Antiviruslösung aufgab und nach einer neuen1 Ausschau hielt, und dabei die Berichterstattung rund um 0zapftis verfolgte, ja zu diesem Zwecke sogar mal wieder eine richtige Tageszeitung erwarb, fühlte ich mich an damals erinnert. Der neue Schädlling war dilletantisch programmiert, meint der CCC und meint besagter Antivirus-Hersteller. Der neue Schädling hatte es zwanzig Jahre nach Michelangelo wieder an den Anfang der Hauptnachrichten geschafft. Nur dieses Mal sollte der Autor kein Nerd sein, Nerds sollten den Staat dabei ertappen wie er Verfassungsbruch begeht. Wie immer gilt für Qualitätsjournalismus nicht das selbe wie für den Rechtsstaat: Erstmal ist der Missstand zu identifizieren, und im selben Atemzug ist der mögliche Delinquent abzuurteilen, und dann wird gefragt. Doch in einem Gefüge, indem sich der Staat durch allerlei Geheimpraktik dem Zugriff der Öffentlichkeit entzieht, muss die Öffentlichkeit Druck aufbauen um Zugang zur Wahrheit zu erlangen. Aus dem selben Grund ist Wikileaks so erfolgreich: Die Rohdaten liegen offen, jedem obliegt die Interpretation, die Allgemeinheit kann ihr Urteil selbst fällen, oder bedient sich Experten und den Medien. Das ist Transparenz „reverse engineer‚ed“. Bislang war es dagegen so, das der Bundestrojaner hinter verschlossenen Türen entwickelt, über seinen Einsatz in der Geheimhaltung unterliegenden Gremien entschieden und dass das Opfer über den Einsatz nicht unterrichtet wird. Das hat mit Rechtsstaat und Demokratie nichts mehr gemein.

Der Schädling war auch kritischer eingestuft worden, als er letztlich war. Das lag daran, das durch den Hype rund um Michelangelo und nun eben 0zapftis auch Aufklärungsarbeit geleistet wird: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hatten damals trotz florierenden Diskettentauschs nur ein Bruchteil der Computernutzer etwas von Viren gehört geschweige denn Antiviren installiert. Das änderte sich schlagartig, weil Angst umging, mit einer einzigen Diskette könne der sündhaft teure Monochrommonitor nur noch Bullshit anzeigen. Bullshit war die Panikmache, wie schon erwähnt. Trotzdem wird auch 0zapftis für einen ähnlichen Effekt sorgen: Die Menschen werden sich damit anfreunden, Zeit zu investieren, um ihre Computer besser abzusichern, ihre Kommunikation abzuschirmen und nicht mehr so viel zu vertrauen – vor allem nicht dem Staat. Politiker ist ohnehin schon eine unbeliebtest Berufsgruppe, Privatsphäre der Deutschen liebstes Gut. Wenn nun Politiker Privatsphäre verletzen kann das nur einen Effekt haben: Das Vertrauen in die Politik schwindet, weiter. Die Wahlbeteiligung geht zurück. Die Legitimation der gewählten Volksvertreter wird auf ein neues Minimum herabsinken.

Es ist jetzt an der Zeit, das sich die Verantwortlichen zu erkennen geben, und diesen Schaden von der Demokratie abwenden. 0zapftis, Saupreiß, jetzt habt auch den Arsch in der Hose und lasst sie herunter.

Es ist auch an der Zeit, diejenigen die einem als allererstes als mögliche Verdächtige einfallen, und die über Dinge schwadronieren wie „three strikes“ aber gleichzeitig die Verfassung als „rechtsfreien Raum“ betrachten, das diejenigen langsam aber sicher den Konsequenzen ihres Handels gegenwärtig werden. Persönlich wäre ich dafür, ein „three strikes“ für Regierungsparteien einzuführen: Wer drei Mal dabei erwischt wird, bewusst die Verfassung zu verletzen, sollte 20 Jahre aussetzen müssen um über sein Regierungshandeln nachdenken zu können.

Es ist aber vor allem eine unwirklich wirkende Zeit, jedenfalls für Menschen mit politischem Interesse. Dazu zählen die wenigsten. Es ist an der Zeit, das der deutsche Michel aufhört, jeden Scheiß hinzunehmen, den ihm diese Regierung serviert, und damit beginnt einen Scheißesturm zu entfachen. Zur Stunde scheint sich der „worst case“ zu bewahrheiten, innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Hans-Peter Uhl bestätigt indirekt und unfreiwillig die Existenz des Trojaner – im gleichen Atemzug bewirft er den Koalitionspartner FDP in Vertretung ihrer Justizministerin Leutheuser-Schnarrenberger mit Dreck, und so etwas tut nur, wer genug davon angesammelt hat. Das ist er letzte Weckruf für Otto Normalverbraucher, und die Politik.

Politik ist zu einem widerlichen Geschäft geworden.

  1. wie sich herausstellen sollte altbekannten Lösung, nämlich von F-Secure, dessen Antivirus ich schon 1992 einsetzte, und zwar weil a) der gestern bereits 0zapftis auf Anhieb erkannte, b) der generell repressive Systeme an den Pranger stellt und c) weil deren CRO soziale Medien zu nutzen versteht []
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