Im Habitatort Kinder und Jugendlicher

Da bekommt die Drohung „Wir schicken dich ins Heim!“ respektive „Du kommst ins Internat, wenn du so weiter machst.“ eine ernste Drohkulisse: Sexuelle Gewalt ist in Heimen, Internaten und Schulen keine Seltenheit, zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie des DJI, zu der insgesamt 1.100 Schulleitungen, 325 Heim- und 100 Internatsleiter beigetragen haben.

»Demnach gab es in den vergangenen drei Jahren in rund 70 Prozent der befragten Heime Verdachtsfälle von sexueller Gewalt. Bei Internaten waren es knapp die Hälfte, bei Schulen etwa 40 Prozent.« schreibt die taz unter dem Titel „Schrecken der Heime“. Das nur etwa 40 Prozent der Einrichtungen teilnahmen – darunter „aus Datenschutzgründen“ keine einzige bayerische Einrichtung, dämpft den Hilferuf der Institutionen an die Gesellschaft dabei keineswegs, denn, so führt die taz weiter aus: Diese Zahlen lassen die Dunkelziffer unberücksichtigt.

Genauer beziffert der Tagesspiegel den längerfristigen Beobachtungszeitraum, aber ruft zunächst die zweifelhaft berühmte-zweifellos berüchtige Odenwaldschule in Erinnerung, um schließlich aufzuzählen das »Etwa die Hälte aller Schulen, 67 Prozent der Internate und rund 82 Prozent der Heime seien überhaupt schon einmal mit Verdachtsfällen konfrontiert gewesen.«

Im Schluss bedeutet das, und so wird es von der Berichterstattung auch wiedergegeben, das jene jüngst hervorgetretenen Erzählungen von sexuelle Gewalt aus früheren Jahrzehnten nur einen Trugschluss nah legen, nämlich das es sich um Vergangenheitsbewältigung handelt. Ja, für die Betroffenen ganz gewiss, für die Gesellschaft scheint dieser serienmäßige Sündenfall gleichwohl Gegenwart wie, wie die Zahlen bescheinigen, auch einer der näheren Zukunft. Erschreckend, aber so erschreckend kann status quo manchmal sein.

Mehrheitlich Mädchen seien Opfer sexueller Gewalt, »auch Mitschüler und andere Jugendliche wurden als mutmaßliche Täter genannt, in Heimen sogar in fast 39 Prozent der Fälle«. »In vier Prozent der Schulen und zehn Prozent der Heime wurden Beschäftigte der Übergriffe verdächtigt.« In den meisten Fällen käme es außerhalb der befragten Institutionen zu den Übergriffen, zu den Tatverdächtige zählten vor allem Personen aus dem häuslichen Umfeld, der Familie der betroffenen Kinder und Jugendlichen, eilt Spiegel Online zur Rettung des Rufes der deutschen Bildungslandschaft herbei. Und gerade die Familien, Freunde und Bekannte bilden Habitate, in denen sich Kinder und Jugendliche geborgen und sicher fühlen müssten. Das es stattdessen auch dort nicht gerade selten zu Übergriffen kommt, garantiert nachhaltigen Schaden in der Psyche immer mehr Heranwachsender.

Doch was kann man daraus für einen ersten Schluss ziehen? Es wird trotzdem weiter so hingestellt werden, das Internet sei von Übel, und Sperren im Sinne des Kindeswohl. Doch wenn es in erster Linie Bezugspersonen im „real life“ sind, könnte gerade das Netz mit seinen pseudoanonymen Strukturen für manchen Betroffenen erste Anlaufstelle sein, seine Erfahrung aufzuarbeiten, indem er sich beispielsweise an entsprechende Hilfestellen wendet. Je weniger Kinder und Jugendliche den Mist, der ihnen widerfahren ist, in sich verschließen und stattdessen an der Aufarbeitung der an ihnen verübten Straftatbestände helfen, desto eher sinkt die Zahl derer die Vertrauen Schutzbefohlener ausnutzen. Hierzu sollte man das Netz nutzen, statt es ständig zu dämonisieren.

Den erschreckendsten Satz brachte dann wohl ein ausgewiesener Experte: „Sexueller Missbrauch in all seinen Facetten ist virulent in allen pädagogischen Einrichtungen.“ Mit diesem Satz, diesem Wort „virulent“, den Spektren „in allen Facetten“, „in allen pädagogischen Einrichtungen“ wird das heute veröffentlichte Zahlenwerk in fast allen Berichten vorgestellt. Allein was der Auftraggeber deutsche Bundesregierung daraus für Schlüsse zieht, dürfte nun von Interesse sein, solch dramatische Zahlen wären Grund genug auch mal auf einen Sommerpause zu verzichten und die Ärmel hoch zu krempeln.

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