Vom Willen zu verlieren

Verstehe das wer will: Über Jahre hinweg galt die neuerliche Kandidatur des Amtsinhabers als alternativlos, seine Nominierung beinah als fakultativ, seine Partei wäre trotz mittelprächtiger Bilanz mit wehenden Fahnen in den Wahlkampf gezogen. Ich erinnere mich allein an ein Dutzend Gespräche in denen das magere Abschneiden zwar kritisiert, seine neuerliche Kandidatur seitens der Partei aber nie in Abrede gestellt wurde. Die Partei mit der langen Tradition in dieser Stadt, das Amt mit einer langen Tradition von Amtsinhaber der Partei mit der langen Tradition, sie und ihre Kandidaten stehen im kommenden Jahr erneut zur Wahl.

Jetzt wäre der Moment Geschlossenheit zu demonstrieren:
Einer für Alle, Alle für Einen.

Trotzdem stehen sich die Partner oberflächlich betrachtet unversöhnlich gegenüber, denn wie der Amtsinhaber in seiner von Einzelnen der Parteispitze nur Teilen der Parteibasis zur Kenntnis gebrachten Erklärung zu entnehmen ist, wird in aller erster Linie über das Schwarz Schaf geredet, dann erst mit ihm.

Einander gegenüber hatten sich vorhin der bei vielen Gelegenheiten manifestierte Alleingang zum Gespräch eingefunden, ihm gegenüber die Vertreter der an Jugendliche gerichteten Vorfeldorganisation der Partei, eine aufgebrachten Parteibasis. Der Amtsinhaber hatte bei der ersten Kandidatur gewagt jedwede Kennzeichen seiner Partei von den Materialien zu tilgen, um bei der Persönlichkeitswahl eben auch Sympathisanten anderer Parteien gewinnen zu können. Das wird ihm fünf Jahre später nun zum Vorwurf gemacht, und er kann sich ausgezeichnet rechtfertigen.

Trotzdem: Das Tribunal, das der Amtsinhaber über sich ergehen lässt, spult die Empörung über das Verhalten wie ein Uhrwerk ab. Während sich mancher hier fair verhält, entwickelt sich eine zur One-Girl-Show, mutiert die sonst so Vernünftige zur Hauptanklägerin und Nervensäge, und kitzelt, und kitzelt, und kitzelt, und kitzelt, und kitzelt, und kitzelt, und kitzelt mit den zwei immer wiederkehrende Fragen knapp drei Stunden lang die einzig schlüssige Antwort hervor: Die Oberbürgermeister- ist eine Personenwahl. Heißt die Person steht zur Direktwahl, keine Partei. Im Grunde wie beim Kumulieren und Panaschieren, bei dem die anderer hoffnungslose Versager unserer Parteispitze von einer nicht unwesentlichen Zahl mündiger Bürgerinnen und Bürger gestrichen werden, weil sie wieder, und wieder, und wieder, und wieder, und wieder das Ansehen der Partei beschädigen. Dann vollzieht wer an längeren und flexibleren Hebeln der Macht sitzt, jenen Wählerinnen und Wählern mit Langzeitgedächtnis, die alle vier bis fünf Jahre gute Arbeit und/oder überzeugende Wahlkämpfe1 belohnen oder nicht eingelöste Versprechen und Millionen schwere Fehler bestrafen.

Parteiintern wiederum, parteiinterne Mehrheitsbeschaffung ist da langjährige Arbeit. Gut, wenn man dann entweder alte Verbündete aus Zeiten der an Jugendliche gerichteten Vorfeldorganisation in den eigenen Reihen wiederfindet, mit denen man gemeinsame Sache machen kann, oder aber man ist von (Hobby zu) Beruf Vaters Sohn. Viele besser noch, wenn all das zusammen trifft. Dann kann man auch den gesunden Menschenverstand manches Delegierten zu vernebeln versuchen, den schwelenden Unmut in der Parteibasis anfeuern und den Aufstand proben. Wenn es dann nicht klappt, kann man froh sein, nicht selbst den Mut aufgebracht zu haben, den Hut der Gegenkandidatur in den Ring geworfen zu haben, für den ein Anderer ohnehin viel bekannter ist. Dann ist die Freundschaft alter Zeiten schnell vergessen, wenn es fünf Jahre später wieder heißt: Alte Seilschaften straffen, mit allen Mitteln und um jeden Preis.

Heute wurden für nahezu alle Parteien unerfreuliche Umfragen bekannt, die einen Trend zu bestätigen scheinen: Wer immer alles falsch macht, wird vom Wähler abgestraft, wer überhaupt nichts macht aber ebenso wenig belohnt. Wer hingegen nur damit beschäftigt ist, anderen ihre Fehler ans Fell zu flicken, wird seine Felle demnächst selbst davon schwimmen sehen. Was ich heute gehört und gesehen habe, zeugt in Teilen vom unbedingten Willen zu verlieren. Mein Wille ist ein anderer, und es wird nicht der Letzter sein.

  1. in Berlin beispielsweise Klaus Wowereit für seine gute Arbeit, in Hessen leider Andrea Ypsilanti nur aufgrund des mitreißenden Wahlkampfes []

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