Parallelwelten
Die Fahnen schwenkenden Genossinnen und Genossen an den Infoständen der SPD in Hessen und im Bund dies Jahr beschieden Mainstream-Medien Mut aus Verzweifelung, niemand in den Redaktionsbüros rechnete nach dem Jahr Hatz auf die Partei in Hessen oder nach elf Jahren zuletzt völlig geräuschloser Regierungsbeteiligung einen Wahlsieg. Anders als Schäfer-Gümbel, der sich dem Wähler in der Kürze der Zeit zwar bemühte mit Hessen vertraut machen konnte, war Steinmeier als Aussenminister in Deutschland ein Unbekannter, beiden stand eine ungeheure, nie dagewesene Maschinerie zur Verfügung, seitens der Partei, ihrer Funktions- und Mandatsträger, nicht zuletzt der Parteibasis und einer Agentur mit wachem Geist. Alldas konnte uns Genossen zumindest den Wahlkampf erträglich machen – anders als beispielsweise Jürgen Walter seinen Schützling Gerhard Bökel 2003 in einem Bus von der Aussenwelt geschützt durch Hessen fuhr, als seien sie Touristen, und mit Plakaten vom Charme einer Kleinanzeige. Doch nicht nur wir Genossinnen und Genossen lebten in der kurzen Phase bis zur unerbittlichen Niederlage in einer Parallelwelt.
Vereinzelte Journalisten beteiligten sich in den vergangenen Jahren maßgeblich an einer nie dagewesenen Hetze auf die einzige wahre Volkspartei1, aufgrund ihrer allgemeinen Schreibe angesehene Qualitätsjournalisten wie Giovanni di Lorenzo, der Ministerpräsidentinkandidatin Ypsilanti politisch vogelfrei erklärte und dem jüngst neue Weihen zukamen, oder Volker Zastrow, der Autor der – vorläufig endgültigen – Reinwaschung der Parteiheiligen Dagmar Metzger „Die Vier: Eine Intrige“. Manchmal vermengen sich die Parallelwelten auch, so lud beispielsweise jüngst das aus der SPD ausgegründete Kulturforum der SPD Zastrow zur Lesung ein, mit anschließender Diskussion. Zastrow genießt seinen Nebenerwerb auf Kosten der SPD, indem er seinen Namen fortlaufend in Zusammenhang mit der SPD in Erinnerung bringt, so beispielsweise gestern wieder – schließlich ist ja bald Weihnachten.
»Jagd auf Dissidenten« ist das neuste Machwerk übertitelt, und warum ich glaube das Herr Zastrow und seine Kollegen in einer Parallelwelt leben, will ich kurz darstellen:
- Wer über Jahre hinweg gegen bestimmte Persönlichkeiten2 des politischen Lebens anschreibt, ist wohl kaum geeignet objektiv von Jagd politisch Andersdenke zu schreiben. Wenn er es hingegen tut, und dabei Terminius Jagd verwendet, dem darf unterstellt werden das er größtmöglichen Schaden anrichten will und keine Ruhe gibt bis er so – durch zufriedenstellenden Absatz seines Buches – oder so – durch das herbei geschriebenen Ableben der Volkspartei – satt ist.
- Genau das Ableben scheint das Ziel, lies man den genannten Artikel an, denn da ist vom Ende der Volkspartei die Rede, und damit es sich nicht wieder nach Wiederholung „ohne Nachrichtenwert“3 anhört wird zu schwindenden Millieus und Mitgliedern schnell noch der fehlende Wille zur Volkspartei hinzugedichtet. Nicht das dem ein Beleg folgt, statt dessen schleift der Autor den Absatz mit »Das Äußere folgt dem Inneren.« Dann folgt der Versuch das Ende der SPD vor dem der Ära Schröder zu verlegen, dabei holt er bis in die 1960-Jahre aus und spricht von einer ehrlichen SPD. Um damit nicht zu viele konservative Sozialdemokraten abzuschrecken, relativiert man die These sodann indem man den Niedergang als von Hessen ausgehen, und schon sind alle Willy Brandt befriedet.
- Nun scheint Zastrow warm gelaufen, bemüht die Begrifflichkeiten der vier Abweichler, indem er die SPD zur Sekte degradiert. Typischerweise greift dann der „Wortbruch“-Reflex, der Autor fokussiert Ypsilanti, die mit ihrem „vielfach gegebenen Wort gebrochen“ habe. Natürlich meint Volker Zastrow hiermit nur, das sie es versucht habe, und etwas Selbstzufriedenheit, etwas Bewusstsein von der fünften Macht im Land versprüht auch dieser Artikel. Leider geht damit der Niedergang der schreibenden Zunft einher, was ihm voll bewust sein dürfte, und weshalb er sich auf das Verfassen von Büchern zu verlegen scheint.
- Damit der Bogen vom neuerlichen Abriß der SPD hin zum eigentlichen Kritikpunkt, den Parteiordnungsverfahren, gelingt, folgt ein Rückblick auf das Verfahren gegen seinen Kollegen Wolfgang Clement, der sich aus dem Off in Nordrhein-Westfalen in den hessischen Wahlkampf einmischte, indem er am Wochenende vor dem Wahlsonntag in einen Namensartikel eines der zentralen Wahlthemen auseinander nahm. Das er damit nicht nur gegen den Geist der Partei verstieß, sondern einer Vielzahl ungeschriebener Gepflogenheiten und Anstandsregeln wird tunlichst vernachlässigt. Gepflogenheiten wie der demokratischen innerparteilichen Willensbildung, bei der zunächst gemeinsam ein Programm erarbeitet wurde, im Fall des kritisierten Energie- wie auch des gesamten Regierungsprogramms in einem öffentlichen Diskussionsprozess über ein Jahr hinweg. Monate lang muss das sogenannte Landesenergieprogramm in der Schublade gelegen haben, am Sonntag vor dem Wahlsonntag nimmt der seit seinem Ausscheiden aus dem Kabinett parteipolitisch inaktive Clement plötzlich Stellung, und dieser Vorgang kann nur vom Kollegen Zastrow und der schreibenden Zunft als hohes demokratisches Gut verstanden werden, zu jedem Zeitpunkt seine Meinung verbreiten zu dürfen, und es kann auch nur einem Journalisten in den Sinn kommen, eine Absichtserklärung – ein so unsolidarisches wie undemokratisches Verhalten in Zukunft zu unterlassen – als »Preisgabe des Rechtes auf freie Meinungsäußerung« zu bezeichnen, und eine sich damit mit demokratischen Mitteln wehrende Partei als Sekte abzuqualifizieren. Wohin geht der „Qualitätsjournalismus a lá FAZ“ muss man sich fragen, wenn ein derart verzerrtes Parallelweltbild nicht nur geschrieben, sondern auch gedruckt wird?
- Dann wird wieder der Abgeordnete als Souverän, als „Vertreter des ganzen Volkes“ bemüht, einzelne Abgeordnete als das höchste Gut der Demokratie hochgejubelt, während sich Zastrow fast im selben Atemzug das Parteigericht als Inquisition vornimmt, indem er die gesetzlich verankerte Parteijuristikation4 als „fernab des Rechtsstaats und auch in den Methoden rechtsstaatsfern“ bezeichnet. Wie weit in seine Parallelwelt muss ein Journalist sein, der derartige Zeilen schreibt – selbst wenn er als Kommentar veröffentlicht wird?
- Der Kreis schließt mit einem Abschnitt übertitelt mit Jargon aus dem U-Boot-Krieg, da heißt es »Suchen und zerstören«. U-Boote sind charakteristisch scheue Geschöpfe, denen der Mut und die Möglichkeiten fehlen mit offenem Visier zu kämpfen, und die beim Gegner Sollbruchstellen torpedieren. Natürlich war der Kurs Halsbrecherisch, den Andrea Ypsilanti nahm. Zugesichert mitzugehen hatten ihn aber auch alle Abgeordneten, und eben auch die Parteimitglieder, derer die vier fraglichen Abgeordneten in Personalunion sind und wohl auch bleiben werden. Metzger, Walter, Everts und Tesch waren aber nicht nur die Besatzung jenen U-Bootes, das die „MS Regierungsübernahme und Ablösung Roland Kochs“ vereitelte, indem sie gezielt am Tage vor der Wahl auftauchten, ihre Projektile abfeuerten und Tage lang abtauchten. Sie saßen auch bis am Tage zuvor auf jener dem Tode geweihten „MS Regierungsübernahme und Ablösung Roland Kochs“, feierten fleißig mit und machten keine Anstalten mit klaren Worten ihre Absichten anzukündigen, und das obwohl ihr Plan längst Bestand hatte, wie Herr Zastrow in seiner fast perfekt austarierten Konstruktion einer Parallelwelt ausführte.
Hätte Volker Zastrow noch etwas mit der Veröffentlichung gewartet, hätte er die Bundestagswahl und das Weihnachtsgeschäft verpasst. Nach der Niederlage mit Ansage, vollführt mit tatkräftiger Hilfe seitens veröffentlichter Meinung, hätte sich niemand mehr für sein Weltbild interessiert, weil man mit Wiederaufbau der SPD beschäftigt gewesen wäre. So aber ist mehr Zwietracht denn je gesäht, und auch jenseits der 19% „Forsa-Wert“ sehen Zastrow und Konsorten wohl noch Spiel.
- wahre Volkspartei weil sie ihre Finanzen nicht zu einem erheblichen Teil ausweislich der Rechenschaftsberichte nicht aus „jüdischen Vermächtnissen“ oder von Großindustriellen speist, sondern von den Einzelspenden und Mitgliedsbeiträgen [↩]
- zur Suche empfiehlt sich bspw. „Ypsilanti Zastrow“, „Stegner Zastrow“ oder „Beck Zastrow“ auf der Website der FAZ [↩]
- Redaktionsdeutsch für „keine Schlagzeile wert“ [↩]
- PartG §14 Parteischiedsgerichte [↩]