Videobeweise dokumentieren G20-Eskalation
Immer das selben Bild: Jede Menge friedliche, wenn auch laute Demonstranten in bequemene Klamotten, begegnen einer Meute gewaltbereiter, Adrenalin-geschwängerter Polizisten mit Protectoren vom Haaransatz bis zu den Zehen, Schlagstock in der Hand, Gas und Revolver am Gürtel, Hund an der Leine. Irgendwann übermannt einen der Polizisten seine offenkundige Lust auf Eskalation, und er übernimmt die Initiative durch Angriff auf einen beliebigen Demonstranten. In der Folge solidarisieren sich die Kollegen, tun ihm gleich oder umstellen die Opfer, ob zur Verteidigung oder Verhinderung kritischer Berichterstattung über das unangemessen aggressive Vorgehen, darüber kann sich jeder anhand folgender Videobeweise selbst ein Bild machen.
- Polizist schlägt junger Frau mit einem von Protektoren geschützten Oberarm ins Gesicht. Als die Frau sich gegen sein Vorgehen verbal wehrt, wiederholt er den Schlag. Als sich die Frau „renitent“ zeigt, zieht er den Schlagstock und bringt die Frau durch eine gezielten wie wuchtigen Schlag in die Beine zu Fall.
Seine Kollegen irritiert dessen Vorgehen genau so wenig, wie den inzwischen suspendierten Polizisten umherstehende Kameras. Was mag in jemandem vorgehen, der so mit Mitmenschen umgeht? Vermutlich nichts. - Dabei beteiligten sich nicht nur uniformierte Polizisten an der grassierenden Gewalt „zum Schutze der Öffentlichkeit“, sondern auch vom Volksmund hier gern als »Zivibullen« verspottete Polizisten in Freizeitdress: Seit an Seit mit ihren uniformierten Polizisten bewegen sich zwei normal gekleidete junge Leute die Schlagstöcke schwingend auf Demonstranten zu, ein Dresscode, den die Uniformierten wohl noch am wenigsten irritiert.
- »Shame on you, shame on you« skandieren die einen Polizeikessel flankierenden Demonstranten, innerhalb dessen Polizisten mehrere Demonstranten mit Tritten maltretieren.
- Während ein Kameramann den Verlauf einer Konfrontation zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften auf der einen Straßenseite dokumentiert, kamen die auf seiner Straßenseite ihm bedrohlich nah, sodaß der ansonsten per se wortlose Videoberichterstatter unter dem Eindruck der auf ihn zulaufenden Polizisten mit erhobenen Knüppeln noch ein Wort hervorbringt: »Shit!« Auf einer Gegendemonstration zu einer Kundgebung mehrerer hundert, aus allen Landesteilen zusammengekarrter Rechtsextremer auf den Frankfurter Bertramswiesen (beim Hessischen Rundfunk ausgerechnet!), war mir das hier auch schon passiert. Gerade als ankam und nur noch wenige Meter vom weiträumig abgeriegelten Schauplatz auf einen Wasserwerfer und davor versammelter Polizisten und Demonstratien zukam, hörte ich aus einem Lautsprecherwagen nur noch das Wort »Schlagstockeinsatz!«, was die damals noch grün anstatt schwarz uniformierten Polizisten wie mechanisch ihre Schlagstöcke anheben und auf die Demonstranten zustürmen lies. Seinerzeit war ich weder als Fotograf noch zu diesem Zeitpunkt als Demonstrant unterwegs, aber unter diesem Eindruck schloss ich mich der Kundgebung an. Während zigtausende mit Schlägen traktierten, friedlichen Gegendemonstranten, von Jugendlichen bis zum Rentner damals zum »Schutze der öffentlichen Sicherheit« in die Innenstadt geprügelt wurden, tobten sich Nazis im Anschluss an ihre Veranstaltung aus. Steine flogen auf Gegendemonstranten, die zwischenzeitlich abgegrenzten Bereich eingesickert waren. Aber auch auf Polizisten, denen nunmehr Schotter aus dem Gleisbett der U-Bahn Andenken entgegen flogen.
- Polizeihund beisst einen sich von ihm weg bewegenden Demonstranten, dann verbeisst sich der Polizeihund in den Demonstranten. Normale Reaktion der anderen Hundeführer der Polizei: Ihren Hunden hinterher, ihrem Kollegen zur Hilfe kommen, im Rudel kann man schliesslich nicht mehr genau festhalten, wessen Hund oder welcher Hundeführer hier zugebissen oder falsch gehandelt hat. Spekulation zugegeben, das man sich hiermit einer Strafverfolgung entziehen kann ist hingegen ungeschriebenes Gesetz.
- Hier klärt ein Polizisten die Medienvertreter vor deren laufenden Kameras über ihre Rechte auf, nämlich keine. Wer sich nicht innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens vom Ort des Geschehens entferne, werde inhaftiert. Ganz ausdrücklich stellte der Bobby die Öffentlichkeit vor keine Wahl, nämlich entweder nicht mehr oder nicht mehr von dort zu berichten, wo seitens der Polizei ein härteres Vorgehen geplant war, denn man berief sich auf einen Paragraph, der zur Deeskalation geschaffen wurde, wenn von einer Demonstration Gewalt auszugehen droht. Wenn man sich so jedoch im Vorgriff auf einen Schlagstockeinsatz zur Räumung öffentlichen Raums der Öffentlichkeit entledigen möchte, kann man eigentlich nur noch von einem
Demokratie„Parlamentarische Demokratie“-Defizit bei der Polizei sprechen, die zugleich vorgibt in unser aller Interesse unsere Sicherheit und eben diese Rechte durchzusetzen. Inzwischen räumt man auch ein, das dies Vorgehen falsch war, und hierfür entschuldigt.
Wenn man unter Demonstrations- und Meinungsfreiheit ein beliebig zuzuweisendes, temporär ausser Kraft zu setzendes Recht versteht, hat man es einerseits nicht begriffen, andererseits wäre es nur konsequent es wieder abzuschaffen. Wer jetzt denkt, ich wäre vielleicht ein zu drastisch oder Situationen wie diese seien hierzulande unmöglich, der sollte sich einmal selbst fragen, wann er für oder gegen etwas seine Meinung gesagt oder auf die Straße gegangen ist, denn das wird eine Weile her sein. Deutschland ist keinen Deut besser, was die Meinungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit angeht. Verursacht durch die förderale Kleinstaaterei würde ich sogar sagen, ist man in manchen Bundesländern stärkerer Repression ausgesetzt als in anderen, eine Beliebigkeit der sich die meisten ach so stolzen Wohnzimmer-Demokraten nicht bewusst sind.
PS: Trotz aller berechtigter Kritik am Vorgehen der britischen Polizei, eines hat sie den deutschen Sicherheitskräften immerhin voraus: Sie filmt ihre Opfer nicht auch noch unter dem Vorwand der Beweissicherung. Vielleicht zählt der Videobeweis im Königreich auch nicht so, wie hier.
PPS: Der Erste, der es schafft, auf den vorgenannten Videos einen einzigen handgreiflichen Demonstranten auszumachen, gewinnt wahlweise einen mit Schlagstock bewaffneten Playmobil-Polizisten oder einen quietschenden Schlagstock für die närrische Zeit.
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