Jürgen Walter: Rückkehr? Rüge? Rauswurf! Plädoyer für Gerechtigkeit
»Jürgen wer?« Vor drei Jahren stellten sich diese Frage auch noch viele hessischen Sozialdemokraten. In der Folge bereisten Jürgen Walter und seine Kontrahentin Andrea Ypsilanti Hessen. Hierbei warben Andrea, Walter und ihre jeweiligen Unterstützer medial wirksam um Zustimmung für ihre Konzepte und natürlich die Spitzenkandidatur kontra Koch. Damals war ich unentschieden, und meine gerade einmal einjährige Mitgliedschaft erlaubte mir das auch.
Trotzdem wusste ich um beide Konzepte, und wollte Walter auf den Zahn fühlen, weil er als erklärter „Netzwerker“ der Parteilinie widerstrebend für Studiengebühren eintrat. Damals schnappte ich mir eine der Karten, auf denen man seine Frage an die Kandidaten formulieren konnte. »Wie ist es zu verstehen, das Du trotz anders lautender Linie auf Bundes- und Landesebene für Studiengebühren eintrittst, wie man der von Dir mit unterzeichneten Gründungserklärung des „Netzwerk Berlin“ entnehmen kann?« muss meine Frage damals gelautet haben. Anstatt auf die Frage einzugehen erklärte Walter man habe ihn falsch verstanden, und er wisse schon von wem die Frage käme, mit der er von einem ihnen hinterher reisenden Genossen bei jeder Regionalkonferenzen konfrontiert werde. Damals war das meine erste große Parteiveranstaltung, mit Hinterherreisen konnte ich kaum gemeint gewesen sein. Ferner war Walter zu diesem Zeitpunkt noch auf keine einzige inhaltliche Frage eingegangen, was mich daran zweifeln lies, das er als Ministerpräsident in Frage kommt, wenn er nicht einmal Fragen zu seinen Positionen beantworten kann. Mit seiner diese Fragerunden nicht ernst nehmenden, die Veranstaltung als reinen Medienzirkus abtuende Antwort stand für mich meine Unterstützung fest. Das war meine erste Begegnung sowohl mit Andrea Ypsilanti als auch mit Jürgen Walter.
Jürgen Walter war vieles.
Walter war Hoffnungsträger einer ganzen innerparteilichen Strömung. Walter war Fraktionsvorsitzender der hessischen SPD. Walter war Wunschkandidat vieler Spitzenfunktionäre. Walter war designierter Innenminister. Walter war Wahlkampfmanager.
Walter war Wahlkampfmanager? oder „Wahldebökel“
Wenn es nach Die Welt geht organisierte er gemeinsam mit Manfred Schaub, Vorsitzender der nordhessischen SPD, das Wahldebökel der hessischen SPD 2003. Wir erinnern uns: Hessens SPD erlebte im Februar 2003 ihre bis dahin schwerste Niederlage. Nachdem Gerhart Bökel ein paar Tage in einem Bus das Guidomobil der FDP immitierte – ohne Charisma von Westerwelle wohlgemerkt – und durch das Land reiste, kassierte unsere Partei eine schallende Ohrfeige von 29,1%. Verantwortlicher Wahlkampfmanager seinerzeit (lt. Die Welt): Jürgen Walter, damals erst 34 und seit 15 Jahren Parteimitglied, war ein unbeschriebenes Blatt und hätte als Spitzenkandidat weder in der Partei, noch gegen Roland Koch eine Chance gehabt. Fünf Jahre später war er etwa im selben Alter wie TSG alias Thorsten Schäfer-Gümbel bei seiner Kandidatur. Ideales Alter, könnte man annehmen. Mehr hier hinein zu interpretieren, daraus gar eine geplante Niederlage abzuleiten, werde ich mir sparen.
Was wurde aus Walter?
Walter unterlag. Zunächst unterlag er einer Frau beim Kampf um die Spitzenkandidatur. Dann unterlagt er dem Charme Roland Kochs Pressesprecherin. Nachdem sich beide nach Monaten zu ihrer Beziehung bekannten, zog sie sich aus dem Amt zurück, Jürgen Walter verblieb im Parlament. Zuletzt schritt er Seit an Seit mit drei seiner engeren Parteifreundinnen, namentlich Dagmar Metzger, Silke Tesch und Carmen Everts am Tag vor der Wahl seiner erbittersten Konkurrenten vor die Medien.
Was will Walter?
Jürgen Walter scheint erst zufrieden, wenn seine sich in einen als Feldzug zu bezeichnende politische Karriere gleichzeitig mit der aller anderen hessischen Genossen beendet wird. Anstatt das Verfahren wegen »parteischädigenden Verhaltens« vor der Schiedskommission seines Unterbezirks abzuwarten, wandte er sich einmal mehr ausschließlich an die Medien. Neben einem Interview, indem er den neuen Vorsitzenden offen angreift, liegen den wichtigsten Berichterstattern eine 25-seitiger Versuch der Verteidigung seines Verhaltens vor, aus dem voller Genuss zitiert wird – Verfasser sein Rechtsbeistand Mathias Metzger, der nicht nur namentlich etwas mit dem Gründer des Seeheimer Kreises und der vierten Abweichlerin Dagmar Metzger zu tun hat. Walter strebt in eine Partei, für deren schlechtes Abschneiden sie ihn maßgeblich verantwortlich macht.
Mainstream-Medien, Leitmedien, Meinungsmacher
Wer verstehen will, warum Medien vielzählig Jürgen Walter glorifizieren, braucht sich nur vergegenwärtigen an wen sie sich wenden.
Anschaulich wird das wenn ein Produkt aus dem Axel Springer Verlag in seiner das Verfahren flankierenden Berichterstattung fragt, ob Jürgen Walter »sein Parteiordnungsverfahren vor das Verfassungsgericht« bringen solle. 84% antworteten hierauf selbstrichterlich mit »Ja, hier geht es ums Prinzip.« Alternativ steht übrigens nur »Nein, Walter sollte die Rüge einstecken.« zur Auswahl. Wer sich nach dem leidenschaftlichen Artikel mit Walter identifiziert und nun nach Gerechtigkeit dürstet, dem wird dies keine Option darstellen. Nur am Rande sei auch erwähnt, das es natürlich nicht über eine Rüge, sondern ein Ausschluss verhandelt wird. Details von nachrangiger Wichtigkeit für den Verfasser, scheint es.
Umgekehrt verhält es sich natürlich auch, Andrea Ypsilanti wurde mit einer nie dagewesenen Hetze eben jener Blätter überzogen, die nun Walter auf ihr Schild gehoben haben. Würde mit dem freien Mandat demokratisch legitimierte Mehrheitsentscheidungen zu jedem Zeitpunkt angreifbar, wäre die Parteiendemokratie in Gefahr – zumindest die an der Sozialdemokraten in Regierung beteiligt sind oder sich beteiligen wollen: Jemand, dem etwas nicht in den Kram passt, findet sich immer.
Ironischerweise leitet Der Spiegel seinen, dem Verfahren vorauseilenden Artikel mit der Behauptung ein »Sogenannte Parteifreunde haben an ihnen das gesamte politische Schmähvokabular durchdekliniert, das sich in Wörterbüchern finden lässt.« Weiterhin hinten folgt eine vor Selbstzufriedenheit strotzender Absatz »Ypsilantis Karriere hat sich längst erledigt«
Im Grunde sind die Protagonisten austauschbar, so wurde Jürgen Walter während seiner Kandidatur um die Kandidatur zum Spitzenkandidat von den selben Medien noch als »kleiner Koch« abqualifiziert, und auch Andrea Ypsilanti war einst gefeierter Liebling der Medienlandschaft. Doch das Blatt, oder besser die Blätter, wendeten sich.
Vorgefasste Meinungen sind nicht Bestandteil seriöser Berichterstattung – abgesehen vom als solchen ausdrücklich gekennzeichneten Kommentar. Hiermit entmündigen all die sich hieran beteiligenden Presseerzeugnisse ihre Leser, und verkaufen sie für dumm.
Hiermit würden Holzmedien auf lange Sicht für eine Zersplitterung der Parteienlandschaft sorgen, wie wir sie in der Geschichte bereits einmal erlebt haben. Daran herrscht aber in den Chefredaktionen kein Interesse, weshalb jene Unterstützung erfahren, die in ihr Weltbild passen. Das nennt man Gesinnungsjournalismus.
Begegnet bin ich Jürgen Walter übrigens noch ein zweites Mal persönlich. Damals saß er mir im Anschluss an einen Parteitag im konspirativen Kreise des Netzwerk Hessen gegenüber. Die Stimmung im Raum war gereizt, als einzigen Triumph konnte man an dem Tag feiern, das man mit der Reservierung dieses Hinterzimmers die ebenfalls dort angemeldeten, innerparteiliche Konkurrenz vergrault habe. Das fand ich sehr bezeichnent für die Gruppe um Walter, Geritt Richter und natürlich auch Carmen Everts – seinerzeit eine der Wortführerinnen im Hinterzimmer.
Jürgen Walter: Rückkehr? Rüge? Rauswurf! Plädoyer für Gerechtigkeit via Twitter kommentieren