SPD-Rechte in Hessen proben Aufstand: Fragezeichenjournalismus
Wie viel Gewicht Gerüchten im einstmaligen Qualitätsjournalismus inzwischen beigemessen wird konnte man in den letzten Tagen anhand einer der Frankfurt Allgemeinen Zeitung noch vor Jahren unwürdigen Meldung verfolgen, die unter dem Titel »Handyfotos, Hintertüren – Ypsilantis Methoden?« veröffentlicht wurde.
Hierin ist zunächst noch harmlos davon die Rede das die Diskussion um die vier Abweichler in der SPD-Fraktion bei Sozialdemokraten und Christdemokraten noch in vollem Gange sei. Natürlich kann niemand die Einblicke der Tageszeitung in die Parteien hinein genauer einschätzen als sie selbst, aber als Genossen wage ich zu bezweifeln das die vier Abweichler noch über ihren eigenen Tellerrand hinaus viel Wirkung entfalten. Zumindest die Sozialdemokratie scheint mit Wahlkampf beschäftigt, und was die Christdemokraten machen interessiert uns hierbei nur peripher.
Dann aber schließt der erste Absatz mit Geschmäckle: »Es heißt, dass die Aussicht einer geheimen Abstimmung bei der geplanten Ministerpräsidentenwahl am 4. November im Grunde nicht mehr bestanden habe.« Aha, »Es heißt« klingt schwer nach Hörensagen, und so setzt es sich auch fort. Denn wer genau von wem »mal „wohlwollend“, mal „drängend“« aufgefordert wurde seine Stimmabgabe zu dokumentieren, lies man offen. Weiter kommt Volker Zastrow von der Frankfurter Allgemeinen in diesem Punkt nicht.
Doch dies schien für den Zastrow kein Grund zu sein seine Unterstellung dem Reißwolf vorzuwerfen. Darauf folgender Abschnitt touchiert einen anderen Tatort, auch hier nur unterstützt von anonymen Hinweisgebern wird die Kandidatur Andrea Ypsilantis als „durch die Hintertür“ herbeigeführt bezeichnet. Nachdem der Autor schließlich noch den Hinweisgeber enttarnt, indem er Michael Paris als bei seiner Nomierung Benachteiligten nennt, bricht der Text apprupt in ordentliche Berichterstattung vom zurückliegenden Parteitag der Frankfurter SPD um.
Wohl im Anschluss an die Lektüre dieses Artikels entfachten die üblichen Verdächtigen in der hiesigen Presselandschaft eine Flächenbrand auf ihren Titelseiten, Wiederkäuen ist schliesslich nicht nur günstig im Verbrauch, sondern hat auch verstärkenende Effekt. Großzügig wurde auch hier wieder von Fragezeichen in den Überschriften Gebraucht gemacht:
- Den Anfang machte Spiegel Online mit
Abgeordnete zu Beweis per Handyfoto gedrängt? - Die Süddeutsche zog nach:
Stimmnachweis per Handyfoto? - Es folgt die weniger bekannte Bocholter-Borkener Volksblatt:
Abgeordnete zu Handy-Fotos gedrängt? - Jetzt folgt endlich auch der Focus:
Unlauterer Druck auf mögliche Abweichler? - Zu guter Letzt setzt auch der Stern seine Duftmarke:
Hessen-SPD: Kontrollfotos bei Ypsilanti-Wahl?
Wichtig ist in diesem Zusammenhang im Grunde weniger die Wahl der Fragezeichen, die die Nachricht jeweils eindeutig als Spekulation der Verantwortlichen kennzeichnen sollen, um sich später nicht rechtlich angreifbar zu machen. Wichtiger ist vielmehr der Termin zu dem die Nachricht in Umlauf gebracht wurde, nämlich am Wochenende des Parteitages der Frankfurter SPD, bei dem Andrea Ypsilanti als Direktkandidatin nominiert wurde. Das Wochenende ist zugleich auch das vor dem Parteitag der hessischen SPD liegt, auf dem die Landesliste beschlossen wird.
Niemand würde dem Autor oder den – selbstredend unter Informantenschutz stehenden – Hinweisgebern unterstellen, das diese Information terminiert in Umlauf gebracht würden, wenn da nicht die jüngere Geschichte nicht eines gelehrt hätte: Vor wichtigen Terminen entwickeln mithin Monate alte Halbwahrheiten eigene Dynamik und größtmögliche Schlagkraft. Wen wundert es da, das sich ausgerechnet Jürgen Walter, Silke Tesch und Dr. Carmen Everts jetzt wieder zu Wort melden und die Darstellung vom Handybeweis dankbar gegenüber den Medien bestätigen? Niemand.
Niemand wird übrigens auch der sein, der den in Umlauf befindlichen Geschichten die Sprengkraft wieder nehmen kann. Volker Zastrow von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und seine Kollegen sind längst damit beschäftigt ihre Hintergrundberichterstattung zum bevorstehenden Parteitag zu formulieren. Und damit die Schlagzeile bis dahin nicht untergeht, pumpen die politischen Widersacher – diesmal von ausserhalb der SPD – sie mit ihrer vorerst zurückgenommen Forderung nach Konsequenzen wieder auf.
Wenn man solche Parteifreunde hat, braucht man ja im Grunde kein Mitstreiter oder Medien mehr. Andrea Ypsilanti aber hält alle Drei – innerparteiliche Widersacher, unterirdische politische Gegner und insbesondere gegen sie gerichteten Kampagnenjournalismus – ohne großartige Gesichtsentgleisungen aus. Dafür gebührt ihr Respekt und Anerkennung, die stattdessen unvermindert den phantastischen Vier zugute zu kommen scheint. Niemand hat gesagt das diese Welt unmittelbar gerecht ist, aber das ist eine grobe Ungerechtigkeit und unserer Partei unwürdig.
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