SPD-Rechte in Hessen proben Aufstand: Erklärungen im Wortlaut

Heute, einen Tag vor der geplanten Wahl Andrea Ypsilantis zur zweiten Ministerpräsidentin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland probten vier SPD-Rechte in Hessen einen Aufstand:
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz haben Dagmar Metzger, Jürgen Walter, Silke Tesch und Carmen Everts ihre Gewissensentscheidung bekräftigt bzw. bekannt gegeben. Hier die Erklärung von Carmen Everts im Wortlaut (Hervorhebungen von mir):

Ich habe in den vergangenen Monaten, wie andere meiner Kolleginnen und Kollegen auch, einen unvorstellbaren Druck erlebt und einen großen Gewissenskonflikt mit mir ausgetragen. Dieser hat in den letzten Tagen mit dem konkreten Blick auf den Wahltermin eine enorme Zuspitzung mit sich gebracht. Meine tiefen Bedenken gegen eine Linkstolerierung habe ich von Anfang an in meiner Fraktion und Partei ausgesprochen, gerade auch weil ich mich in meiner Doktorarbeit mit dem Wesen des politischen Extremismus und mit der PDS auseinandergesetzt habe.
Die Linke ist eine in Teilen linksextreme Partei, sie hat ein gespaltenes bis ablehnendes Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und ein problematisches Gesellschafts- und Geschichtsverständnis. Und ihr Ziel ist es, der Sozialdemokratie zu schaden.
Ich war und bin immer noch zutiefst zerrissen zwischen diesen schwerwiegenden Bedenken und meiner Loyalität zu meiner Fraktion und meiner Verbundenheit zur SPD. Sie können mir glauben, dass mir ein solcher Schritt mit meinem Engagement für die Partei und mit nun fast 20 Jahren Mitgliedschaft außerordentlich schwerfällt. Trotzdem: Er ist für mich ohne Alternative und ich bin mir seiner Tragweite und der Belastung für meine Partei bewusst.
Ich hatte für mich persönlich auch immer wieder die Hoffnung, ich fände einen für mich erträglichen Kompromiss und ich könnte meine persönliche Gewissensentscheidung in der Mehrheitsfindung der Gesamtpartei aufgehen lassen. Durch die zurückliegenden Tage mit dem letztendlich entscheidenden Parteitag am Samstag und mit meinem ganz persönlichen eigenen Gang in die Wahlkabine ist mir eines mehr als bewusst geworden. Ich muss dies alleine mit meinem Gewissen ausmachen.
Und dabei geht es für mich um den Respekt vor meinen Grundüberzeugungen und meinem Verständnis von Demokratie und Verantwortung. Es geht um den Willen der Wählerinnen und Wähler, die die rot-grüne Minderheitenregierung nicht gewählt haben und diese zutiefst ablehnen, wie die Umfragen und unzählige Rückmeldungen zeigen.
Es geht um eine in der Mitte der Gesellschaft verankerte, selbstbewusste Sozialdemokratie, die sich von der Linkspartei deutlich abgrenzt. Und es geht in allererster Linie auch um die Zukunft dieses Landes. Deshalb ist für mich klar, dass ich einer solchen Regierungsbildung meine Stimme nicht geben kann.
Und ich will offen sagen, dass mich die Spekulationen der vergangenen Woche, es könnte irgendeiner heimlich sein Nein abgeben, zunehmend geärgert haben. Was wäre dies eigentlich für ein Zeugnis für unsere parlamentarische Demokratie und für die Gewissensfreiheit der Abgeordneten? Demokratie heißt, sich auch anders positionieren zu können, und dies offen und mit aller Konsequenz.
Hessen hat eine gerechtere, eine sozialere, eine wirtschaftlich und ökologisch zukunftsfähige Politik verdient. Der Auftrag meiner Wählerinnen und Wähler ist die Ablösung der Regierung Koch und eine andere sozialdemokratische Politik für Hessen. Aber nicht um den Preis der Beteiligung der Linkspartei, nicht um den Preis meiner persönlichen Integrität und Grundwerte und nicht um den Preis der Wahrhaftigkeit in der Politik. Ich kann das nicht.

Wer sich die Mühe gegeben hat dieses Pamphlet zu lesen, dem wird aufgefallen sein, das es eine gewisse Analogie zur Stellungnahme von Dagmar Metzger im März diesen Jahres gibt. Carmen Everts beruft sich nicht allein auf ihr unprüfbares Gewissen, sie beruft sich zugleich auf »Umfragen und unzählige Rückmeldungen« – eine Strategie mit der sich auch Dagmar Metzger zu behelfen wusste, als sie ihre Gewissensentscheidung bekannt gab.

Weiterhin heißt es, der Wähler habe eine »rot-grüne Minderheitenregierung nicht gewählt«, obwohl man von einer Landtagsabgeordneten mit einer fast 20 Jahre währenden Parteimitgliedschaft erwarten können sollte, das sie verstanden hat, das der Souverän Parteien, jedoch keine Koalitionen wählt. Wer an die Wahlurne tritt, gibt keine Stimme für eine wie auch immer geartete große Koalition ab, sondern gibt einem Regierungsprogramm oder einer Person ihren Vorzug.

Die Erklärung der übrigen drei ‚Genossen‘ war etwas knapper:

Meine Damen und Herren, wir – das sind die Abgeordneten Silke Tesch, Dagmar Metzger und Jürgen Walter – haben eine für uns außerordentlich schwere Entscheidung getroffen. Wir haben heute Vormittag die SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Andrea Ypsilanti darüber informiert, dass wir die Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung mit den Stimmen der Linkspartei nicht mittragen können. Das bedeutet, dass wir bei der morgigen Wahl im Landtag nicht zustimmen. Wir erklären dies heute in aller Öffentlichkeit, im Bewusstsein auch der Konsequenzen. Wir werden unser Landtagsmandat behalten und bieten unserer Fraktion auch weiterhin die Mitarbeit an.

Im Namen des »wirtschaftspolitsch orientierten Teils der Fraktion« verlas Dagmar Metzger noch ein Statement:

Natürlich bin ich über die jetzt getroffene Entscheidung meiner drei Fraktionskolleginnen bzw. Fraktionskollegen sehr froh.
Ich fühle im Grunde genommen in meiner Entscheidung aus dem März ,die Regierungsbildung mit Hilfe der Linkspartei zu verhindern, bestätigt.
Sie belegt das die Zweifel und Bedenken hinsichtlich einer solchen Regierungsbildung, die ich damals öffentlich und in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder geäussert habe, eben doch von sehr viel mehr Menschen in der SPD geteilt werden, als dies die Partei- und Fraktionsführung zur Kenntnis nehmen wollte.
Und ich bin sehr froh darüber, das Carmen Everts, Silke Tesch und Jürgen Walter den selben Weg gehen wie ich, also öffentlich und mit der Bereitschaft alle Konsequenzen zu tragen, und nicht heimlich in der Wahlkabine.
Niemand weiß besser als ich, wie viel Mut hierzu gehört, aber wir leben in einer Demokratie mit einem freien Abgeordnetenmandat. Dazu gehört, das diejenigen die unsere Auffassung und Entscheidung nicht teilen können sie doch respektieren sollten.
Natürlich stehen wir in der hessischen SPD jetzt vor einem schwierigen Weg. Wir haben eine verantwortungsvolle und dem Willen des überwiegenden Teils der Bürgerinnen und Bürger Hessens dienende Entscheidung getroffen. Davon bin ich überzeugt.
Veranwortlich sind jetzt die Teile der Fraktion und der Parteiführung, die sich entschlossen hatten, das zentrale Wahlversprechen unserer Partei zu brechen. Und ausserdem ist es ihnen nicht gelungen die Öffentlichkeit und uns als den wirtschaftspolitsch orientierten Teil der Fraktion von der Notwendigkeit und Richtigkeit dieses Kurses zur überzeugen. Deshalb müssen wir so handeln.

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