Attac attakiert Börse mit Flugblättern
Großes Kino™: Attac attakierte heute im Verlauf gegen Mittag die Börse, vermutlich werden sie hierfür als terroristische Vereinigung eingestuft und können ihre Gemeinnützigkeit vergessen, doch was war geschehen?
Junge Leute haben jenen Handelsplatz für ein paar Minuten medial erobert, indem sie Panzerglas überwanden, die Schautafel mit dem DAX-Verlauf mit einem Plakat überdeckten, auf die Händler Flugblätter niederregnen ließen und ihren Forderungen lautstark Nachdruck verliehen. Bemerkenswert: Wie auf dem Video zu sehen ist, applaudieren sogar die Platzhalter auf dem Parkett. Doch warum Platzhalter?
Fünfzehn Jahre ist es her, da betrat ich die selbe Ausstellungsfläche und bekam entweder von unserer Lehrerin oder dem Führer mitgeteilt, das jene Händler hinter den dicken Glasscheiben, über die die Aktivisten von Attac heute ihre Message losließen, nichts weiter seien als eine Reminiszenz an vergangene Zeiten, denn der Handel fände – vor so langer Zeit bereits – längst nicht mehr hier auf dem Parkett, sondern im Computer statt. Wer da unten säße, habe keinen oder nicht wahrnehmbaren Einfluß auf den Handel.
Damals verstand ich nicht mehr, warum sich andernorts noch Banker auf das Parkett bemühen, ohne Sitzgelegenheit Stunden in unendlicher Hektik zubringen, beim Anblick dieses Videos aber beschleicht mich vielmehr die Frage, warum Finanznachrichten noch immer vor solchen leeren Hülsen von völlig irrelevanten Werten und Kennzahlen berichten müssen, denn fest steht gleichwohl, das der DAX zwar für die Marktlandschaft ein Indikator ist, aber für den einzelnen Händler, ob daheim als day trader oder im cubicle als investor, keinen Hinweis auf die Entwicklung eines einzelnen Wertes in seinem Portfolio hat. Oder aber auch die schon willkürlich gewählten Zeitpunkte der Verkündung irgendwelcher Entwicklungen am Markt für sein Handeln nützlich wäre.
Zurück jedoch zur Börse, unweit hiervon flanieren zur selben Zeit gepflege Bankerinnen und Banker über die Fressgass, als wäre in den vergangenen Wochen nichts passiert. Auf die Nieten in Nadelstreifen würden angesichts der Nachrichten Farbbeutelanschläge verübt und in der hochpreisigen Gastronomie zwischen den Bankentürmen unmittelbar bei Bestellung kassiert, ja lebte man nicht in Frankfurt am Main.
Mittendrin zwischen umsatzstärkster Einkaufsmeile und Bankenviertel ist seit jeher die Frankfurter Börse untergebracht, bewacht von Bulle und Bär, Sinnbildern für steigende und fallende Kurse. Doch weder die Bulle und Bär, noch der Sicherheitsdients vermochten Attac von ihrer Aktion abzuhalten. Und selten habe ich diese »Fachleute« (in Bezug auf Berichterstattung wohlgemerkt, nicht auf das Finanzsystem bezogen) so aufgeregt erlebt wie die junge Frau im Bild folgendes Streifens, hier kurz im O-Ton was die aufgeregte Korrespondentin vom Parkett zu berichten wusste:
Es ist wahrscheinlich Attac, die hier die Börse so ’n bisschen stürmen. (…) Jetzt hoffen wir mal, dass das Sicherheitspersonal hier gleich einschreitet. (…) Also von daher auch sehr laut im Augenblick. Der DAX viereinhalb Prozen im Minus. Also so eine Situation habe ich im Moment auch noch nicht live erlebt, sach ich ihnen ganz ehrlich. (…) Scheinen in dem Sinne eeecht friedlich friedlich zu sein. (…) Im ersten Moment habe ich echt ’nen Schreck gekriegt, jetzt hier, aber es sieht echt natürlich nach ’ner Demonstration aus, aber nach ’ner friedlichen, also sie tun hier niemandem etwas, sie sorgen halt für Aufmerksamkeit und sie sorgen für eine Menge Krach im Moment an der Börse.
Hierauf war erstmal ein Bruchteil einer Sekunde Funkstille, wenig geistesgegenwärtig reagierte dann die Frau im Studio und begann die Geschichte zugespitzt betont auszuschlachten:
Mhm … sollen wir noch kurz auf die Märkte schauen? (…) Kööönnen wir da einfach so hereinspazieren, also auch mit Taschen in denen was auch so immer drin ist, Flugblätter, Plakate und so weiter?
Woraufhin die sichtlich und hörbar beunruhigte Frau vor der Kamera wieder versichert:
Wenn man hier an die Börse reinkommt, das ist so gut wie nicht möglich. Es gibt einen Hochsicherheitstrakt, es gibt vorne Glastüren, wo sie nur mit bestimmten Ausweisen reinkommen, wo sie wirklich warten müssen bis die zweite Tür aufgeht.
Grandios der Auftritt der Globalisierungskritiker, wohlgemerkt in einem Museum. Gewohnt routiniert die Reaktion unseres gelobten Finanzministers, der in gleicher Weise von den Moderatoren aus der Sendeanstalt angekündigt wird. Trotz des Auftritts der Realwirtschaft in Form jener Demonstranten, nimmt nach einigen Minuten wieder alles seinen gewohnten Gang, denn es will schließlich niemand das sofort im Anschluss alle Freizeitfondmanager ihre Verträge kündigen oder ihr Erspartes abheben und unter dem Kopfkissen verstecken. Seht selbst, es lohnt wirklich!
Selten habe ich die Finanzwelt dermaßen entblößt wahrgenommen, wie in diesem kleinen Video.