Clementifizierung

Geblitzt und gedonnert hatte es am Mittwoch, jedoch hinterließ das Gewitter kaum Schaden. Anders ein Blitz mit dem die Schiedskommission der NRW SPD am selben Abend in die SPD fuhr. Urteil im Parteiordnungsverfahren gegen Wolfgang Clement: Ausschluss! Der ehemalige Politiker, ehemalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, ehemaliger Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit (alias »Superminister«), ehemalige Sprecher des SPD-Vorstandes, ehemals designierter SPD Kanzlerkandidat und ehemaliger stellvertretender Bundesgeschäftsführer der SPD wurde von diesem Urteil der Landesschiedskommission der NRW SPD wohl ziemlich überrascht und erfuhr davon zunächst selbst nur über die Medien – welche Ironie.

Prototypisch Wolfgang Clement

Prototypisch für beide Antragsgegner war ihre erste Reaktion. Während klagende Gliederungen ihren Kompromissvorschlag einbrachten – Rüge und Good will-Erklärung seitens Clements von jedweder negativen Wahlempfehlung zukünftig abzusehen – ging der in die Offensive. Wenige Stunden nachdem der Blitz in die SPD und Clement einfuhr holte der zum Gegenschlag aus und präsentierte unter dem Titel »Es geht um den Kurs der SPD« – natürlich in WELT – worum es seinem Dafürhalten nach bei seinem Parteiausschluss ginge. Nicht weniger prominent auch der vollformatige Auftritt in einer Nachrichtensendung der ARD mit sehr ähnlicher Wortwahl und der leidenschaftlich vorgetragenen Versicherung »Ich erfahre so unendlich viel an Zustimmung.«

Wolfgang Clements Aussenbild schwer beschädigt

Wenn jemand so fixiert auf sein eigenes oder das Außenbild seiner Partei ist, wie Wolfgang Clement, dann stellt sich die Frage, warum er nicht konsequenter beispielsweise in Hinblick auf seine eigenen Biographie vorgeht, wie sie beispielsweise in Wikipedia veröffentlicht wird. Vielleicht muss jemand erst die DVD ausdrucken, binden und auf seinen Schreibtisch stellen, damit er sie zu einem gepflegten Glas Rotwein genießen kann. Dann allerdings würde er seine bewegte Historie bei Wikipedia verpassen, die allein ein Band wert wäre: Hier führte man in der jüngeren Geschichte zum Namen Wolfgang Clement zunächst eine Änderung unmittelbar nach der Bundestagswahl 2002 von »Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit« in »in in der freien Wirtschaft tätig« durch. Nachdem in dieser Beziehung fünf Jahre niemand etwas der Weltgrößte Enzyklopädie hinzuzufügen wusste, nahm am 14. August 2007, knapp fünf Jahre nach seinem Abgang als Minister, ein Benutzer von Wikipedia eine erste entscheidende Änderung vor, jetzt bereits war der Wortlaut zum ehemaligen Minister Clement der, der damals schon der Wahrheit am nächsten kam: »Wolfgang Clement war ein deutscher Politiker.«, damals noch mit dem tendenziösen Nebensatz »bis dass er in die Wirtschaft ging.«, ein Tag später dann, galt Clement plötzlich in vorauseilendem Gehorsam oder in Abbildung seines Wirkens als ehemaliger Politiker. Kurz nach dem Urteil gegen Clement war es dann soweit, nachdem ich ein halbes Jahr die Formulierung genossen hatte die niemand störte, war Clement wieder Politiker, ausgerechnet das Konvent für Deutschland wurde hierbei vom Editor zur Argumentation herangezogen.

Parteiausschluss wie Urologe auf Hausbesuch

Beiden Seiten ist unwohl, wenn es zum Ausschluss gekommen ist und der lange Arm der Parteibürokratie zum formalen Akt in oder vor die heimischen vier Wände kommti. Unser Ortsverein musste vor zwei Jahren zwei solcher Fälle hinnehmen, in beiden Fällen kandidierten Mitglieder zum Teil unwissentlich, zum Teil wegen enttäuschter Erwartungen entgegen unserer Statuten bei anderen Partei und wurden wegen Unvereinbarkeit aus der Partei ausgeschlossen. Wolfgang Clement hingegen sieht seine Stellungnahmen gern abgedruckt und wird sein Parteibuch entweder von Otto Schily überbringen, per Einschreiben einsenden oder aller Wahrscheinlichkeit seinem Kamin zuführen – selbstverständlich bei einem guten roten Tropfen. Wolfgang, pardon, Herr Clement aber ist kein Neuling, sondern 38 seiner 68 Lenze Genosse – gewesen.

Clements Austritt war beschlossene Sache

Bei Lafontaine-Rot liegt meine Grenze, meinte Clement gegenüber SÜDDEUTSCHE über einen Monat vor seinem Ausschluss-reifen Zitat in der Tageszeitung aus dem Axel Springer Verlag, Welt. Darum frage ich mich, warum Wolfgang Clement nun so an seiner Mitgliedschaft hängt. Natürlich, der Linksruck ist noch nicht vollzogen, aber sein Ausschluss ist mit ihm auch nicht gleichbedeutend. Clement war zwar 38 Jahre Genosse, in einer so lange Zeit aber bleiben Standpunkte, so wie der zur Atompolitik, Andere, wie die Solidarität wiederum, verlassen einen gestanden Sozialdemokraten entweder mit Mitgliedsjahren oder ab einer bestimmten Ebene in der Parteihierarchie. Dann finde ich allerdings, wäre es konsequent daraus die Konsequenzen zu ziehen. Lobbyisten sind bei der FDP eindeutig besser aufgehoben, Freunde der Atomkraft hingegen bei den Christdemokraten.

TAZ und FAZ sind sich ausnahmsweise einig: Clement muss ausgeschlossen werden

Während die Frankfurter Allgemeine Zeitung überraschend kritisch schreibt und mit den Worten »Gegen Geiselnehmer muss sich die Partei zur Wehr setzen.« einen Artikel unter dem Titel »Geiselnahme in der SPD« schließt geht die tageszeitung genau so analytisch korrekt vor und kommt zum selben Urteil wie die konservativen Kollegen. Clement muss ausgeschlossen werden, weil er eine von der Wahl Ypsilantis abriet, einem Entgegenkommen bisherigen Instanzen eine Absage erteilte und sogar noch in Aussicht stellte demnächst (bevorstehende Landtagswahl in Bayern?) ebenso zu handeln und sich nicht die Meinung verbieten zu lassen.
fixmbr reduzierte die gegenwärtige Situation trocken und zutreffend: Die letzte Hoffnung der SPD sind nun ein paar Juristen – wie konnte es nur so weit kommen?

Clement lies entschiedenen Wählern keine Wahl

Letztlich ist Clement vorzuwerfen, beim bereits entschiedenen Wähler ohne Präferenz sieben und drei Tage vor der Wahl den Eindruck einer gespaltenen Partei provoziert zu haben, und ihn damit entweder dem politischen Gegner oder der Nichtwahl als Option zu überlassen. Niemand, der ernsthaft Sozialdemokraten zu wählen beabsichtigt hatte, wäre so knapp vor der Wahl zu Die Linke gewandert und auch die Grünen stünden nun mal nicht zu Wahl, vertraten sie doch prinzipiell vergleichbare Positionen hinsichtlich konservativer fossiler Energie. Blieb also nur die FDP, den Analysen zur folge größten Profiteur der Wählerwanderung beider großen Volksparteien.

Ex-Superminister stellte sich tot

Was macht der Ex-Superminister weil ihm ein Parteiordnungsverfahren ins Haus steht? Zunächst einmal nichts, der ersten Anhörung blieb er meines Wissens entgegen Ankündigung sogar schriftlich fern, in seiner Abwesenheit wird die Rüge beschlossen und verkündet, die weder er noch der Antragsgegner akzeptiert. Als es ernst wird leistete Ex-Superminister Clement keinen geringeren Rechtsbeistand als den ebenso Ex-Innenminister Otto Schily. Ob ihm trotz aufgesetzter guter Laune bereits bewusst war was nun geschieht? Anders ist der Wandel von Ignoranz des Verfahrens zur Freundschaftsdiensten unter so prominenten ehemaligen Kollegen kaum zu erklären.

Ypsilanti plötzlich involviert?

Vor dem Urteil schien es den Medien noch herzlich egal wer das Verfahren mitgetragen hat, der Name Gernot Grumbach als Antragsteller war entweder kein Begriff, oder er wurde nach dem überraschenden Urteil gezielt ins Spiel gebracht, um die öffentliche Meinung zu beeinflußen. Nun, einerseits hätten Medien nach Erlösung und Auffahren Clements in das innerparteiliche Himmelreich nichts mehr mit diesem Umstand anfangen können, andererseits erleichtere ich mir meine Urteilsfindung in letzter Zeit sehr gern aufgrund von Wahrscheinlichkeiten, und es ist schlicht wahrscheinlicher das jemand nach Verkündung des Urteils sein Faxgerät angeworfen und die Klageschrift mit einem deutlichen Vermerk durch den Fernkopierer geschickt hat, als das sich die Nachrichten auf solch einem Aspekt seelenruhig ausruhen.

Vorläufiges Fazit

Vor der Wahl warf Wolfgang Clement Hermann Scheer und Andrea Ypsilanti Knüppel zwischen die Beine, indem er eines ihrer zentralen Wahlziele, nämlich den Umbau der Energieversorgung in Hessen, aus der Distanz über die Presse in Abrede stellte. Daraufhin gelang es Roland Koch und seiner CDU trotz gravierender Fehler am 27. Januar 2008 einen Vorsprung von etwas mehr als 3000 Wählern herauszuarbeiten. Andreas Ypsilanti veröffentlichte in der ZEIT vom 6. März 2008 unter dem Titel »Sozialen Moderne« eine Blaupause eines sozialeren, ökologischeren Hessen, dessen Umsetzung einen legitimen Machtanspruch bei einer Bundestagswahl gewesen wäre. Mittel zum Zweck war die Wahl zur Ministerpräsidentin mithilfe von Die Linke, der sich Dagmar Metzger, Mitglied im Netzwerk Hessen und mit einem Schwiegervater als Mitbegründer des Seeheimer Kreises, entgegen stellte. Letzter Höhepunkt in dieser Chronologie ist die Herausforderung Wolfgang Clements durch Hermann Scheer zum Duell – und es darf bezweifelt werden ob ein solches Kräftemessen noch in Zeiten seiner Mitgliedschaft stattfinden kann.

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