Vom Abschreiben und Zuschreiben
Im April 2005 trat ich in die PdS1 ein. Anfang 2005 glich die SPD einer Ruine, dem Gemäuer der in Darmstadt der Ruine einer Hochburg.
Man hatte gerade gegen innere Widerstände einem Oberbürgermeister ins Amt geholfen, der sich wenig später von der Partei zu distanzieren begann und eine Amtszeit später mit Hilfe derer, die ihn zuvor zu verhindern suchten, wieder aus eben dem Amt gejagt werden würde.
Zwar hatte man mit der Justizministerin ein prominentes Zugpferd als Mitglied des Bundestages gewinnen können, doch der inhaltlich-strategisch Wahlkampf fernab der Kandidatin machte keinen guten Eindruck: Alle nah liegenden Themen wurden gemieden, angefangen von Studiengebühren bis hin zur Bürgerversicherung wurde alles umschifft, was Darmstadt tangiert, gegen jedes spezifische Thema fand sich ein in Plakate gegossener Allgemeinplatz, den die Wahlkampfleitung vorzog. Man konnte meinen, man wäre in Gallien, wären Darmstädter Verhältnisse nicht längst zum stehenden Begriff geprägt worden.
Kurz darauf errang Dagmar Metzger bei der Landtagswahl 2008 das Direktmandat, die sorgte dann aber bekanntermaßen dafür das im Jahr 2009 bereits wieder gewählt werden würde; sie übernahm den Wahlkreis und nahm das Direktmandat ausgerechnet von Kultusministerin Karin Wolff, deren Ministermalus auf allerlei persönliche und politische Fehltritte zurückzuführen war. Das allein aber dürfte für den deutlichen Abstand zur in gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft lebenden Kreationistin geführt haben, sondern wohl eher der prominente Schwiegervater und ehemalige Oberbürgermeister von Darmstadt, Günther Metzger.
Doch zurück in den Bund: Die SPD hatte hunderttausende Mitglieder verloren, ein Vielfaches an Sympathisanten, und nicht zuletzt Millionen Wähler_innen. Kurzum: Es war nicht dem Trend gemäß, in die Partei einzutreten, sondern vielmehr eine antizyklische Entscheidung. Inhaltlich war es für einen Linken wie mich nicht unbedingt die logischste Entscheidung. Anstatt die SPD abzuschreiben, trat ich anderthalb Jahre vor den nächsten Bundestagswahlen in eine zutiefst zerstrittene, tief verunsicherte Partei ein. Und anstatt mich in den folgenden knapp 18 Monaten in die Partei eingewöhnen zu können geschah etwas, das die Berliner Republik auf Trab hielt.
Wenige Wochen später nämlich waren in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen. In dem nach Mitgliedern noch immer stärksten Landesverband kassierte die SPD damals die letzte einer Reihe Wahlniederlagen, aber diese in ihrem Stammland hätte nicht ohne Konsequenzen bleiben dürfen, ansonsten hätte das als realitätsfern oder (noch schlimmer) Resignation gewertet werden können. Am Wahlabend vor die Kamera zu treten und den Wahlergebnissen mit den üblichen Reflexen zu begegnen, kam gar nicht in Frage. Und so kam es dann auch. Nur Minuten nach Schließung traf Gerhard Schröder endgültig die Entscheidung, nicht abgewählt werden zu wollen; wenig später verkündete Franz Müntefering das Schröder abermals, aber in anderer Absicht die Vertrauensfrage stellte, also Neuwahlen anstrebe.
Im folgenden halben Jahr holte eine abgeschlagene, durch die Reformen herabgewirtschaftete und infolgedessen lethargisch wirkende Partei einen nach landläufiger Meinung uneinholbaren Abstand zur und damit die Union wieder ein. Am Wahlabend hatte die SPD im Vergleich zum desaströsen Wahlsonntag in Nordrhein-Westfalen einen zweistelligen Prozentsatz gut gemacht. Gerhard Schröder feierte sich dafür und war berauscht an sich selbst, wie man in der Elefantenrunde sehr gut sehen konnte.
Die Zuschreibung, der nach die Post-Schröder-SPD an dessen Reformen gleichermaßen litt und genoss, dürfte richtig sein.
Die dafür abzuschreiben ist aber ein wenig verfrüht.
In Darmstadt sank die Mitgliederzahl zwischen 2006 und 2015 von 1530 auf 1092.
Die deswegen abzuschreiben halte ich auch für ein wenig verfrüht.
Man wird sehen, wie wir uns bei der Oberbürgermeisterwahl 2017 positionieren. Immerhin stellt kein Sozialdemokrat mehr den, wir sind längst nicht mehr stärkste Kraft in der Stadtverordnetenversammlung, unser einziger Landtagsabgeordneter ist das schon seit 1999 und für den Bundestag hat die schon angesprochene Brigitte Zypries gerade ihren Rückzug aus Altersgründen erklärt, weshalb die nächste Kandidatin oder der nächste Kandidat ohnehin aus dem Landkreis kommen wird, wie mit dem dortigen Unterbezirk, mit dem wir uns den Wahlkreis teilen, seit Ewigkeiten abgesprochen.
Kurzum: Wir haben nichts mehr zu verlieren.
- nicht zu verwechseln mit PDS [↩]