Darmstadt ist nicht Kopenhagen
Kopenhagen ist hierzulande vor allem als eines bekannt: als Fahrradstadt. Das liegt mitunter daran das in Kopenhagen jede eine Fahrradstraße ist, oder zumindest einen so breiten Radweg aufweist wie Platz für motorisierte Verkehrsteilnehmer vorgesehen ist, könnte man meinen. Doch zu kurz gedacht: Mit den Radfahrern kamen die Radwege. Auf Nachfrage antwortete man mit Angebot. Auf Copenhagenize zur Schau gestellte Videos zeigen die Stadt in der ersten Hälfte des letzten Jahrhundert. Darmstadt, wo ich wohne, ist vor allem als eines bekannt: als „Autogerechte Stadt“. Hier wurde die Innenstadt komplett untertunnelt, um auf einer bis vier parallelen Spuren möglichst zügig ans Ziel zu kommen. Und der nur in Teilen realisierte Osttangente sollte ein ganzer Häuserzug weichen, um einer vierspurigen Schnellstraße Platz zu machen. Und zuletzt vor wenigen Jahren wurde der Wahnsinn namens „Nordostumgebung“ endlich beerdigt. Von den Grünen, die auch im Umfeld der Gegner der einstigen Osttangenten-Gegner nach Wählern gefischt, den Koalitionsvertrag aufgekündigt und bei den Wahlen so viel politischen Profit geschlagen haben das sogar der Oberbürgermeister nun von den Grünen gestellt wird. Meine scheinbar ohnmächtige SPD hatte all die aufgeführten Projekte lanciert und durchexerziert. Nun ist bald bereits die zweite Grüne in Folge Verkehrsdezernentin, der die Verkehrspolitiker meiner Partei nur unsinnige Pamphlete gegen Parkkrallen und Wutreden gegen neue, profitable Blitzgeräte entgegensetzen können. Zugegebenermaßen galt Deutschland seinerzeit als Keimzelle der Kraftfahrzeugindustrie, und in Nachbarschaft zu Darmstadt liegt ja auch irgendwo noch Rüsselsheim und deren Opelwerke, war man also auch nah dran Autoboom, doch verdrängten motorisierte Kutschen nur Pferdefuhrwerke. Doch neben dem stetig zunehmenden Verkehr bahnten sich in Kopenhagen wie in Darmstadt auch jeher Zweiräder den Weg. Und hier beginnt der Unterschied: Während hierzulande alles der „Autogerechten Stadt“ untergeordnet wurde, erkannte man durch Anschauung den trivialen Fakt das auf dem Platz den ein PKW etwa acht Radfahrer unterbringt. Und so entschied man sich den massenhaften Individualverkehr zu fördern: In Kopenhagen über Jahrzehnte hinweg eben mit Fokus auf Radfahrer, in Deutschland durch für nicht motorisierten Verkehr strikt verbotene Verkehrswege wie Umfahrungen, Tunnel und Autobahnen.
Und man überdachte diese Strategie nur eindimensional und kurzfristig: als die OPEC den Ölhahn zudreht und auf einen fixen Termin, den „Autofreien Sonntag“ ausgerichtet. Dagegen konnte niemand etwas haben: Die Wirtschaft ruht schließlich am heiligen Sonntag, zumindest größtenteils. Auch heute gibt es den „Autofreien Sonntag“ noch, in Form des Fahrverbots für Lastkraftwagen. Doch als das Öl wieder sprudelte brachte erst die Kontroverse von 5 Deutscher Mark für den Liter Benzin die Vergänglichkeit des fossilen Energieträgers in Erinnerung. Seither hat sich in manchen Städten etwas getan. In Frankfurt beispielsweise wird seit etwa 20 Jahren bei der Verkehrsplanung konsequent auf Radfahrer Rücksicht genommen. Auch in Darmstadt wurden hervorragende Radwege geschaffen, so beispielsweise den entlang der neuen Straßenbahn nach Kranichstein. Doch eine Hand voll neuer Radwegekilometer machen noch keinen Sommer. Im Sommer aber sind die Menschen gern draußen. Und treffen dort auf eine scheinbar nicht enden wollende Karawane von LKW mit internationalen Kennzeichen, von Einzelpersonen besetzten Kraftfahrzeugen, auf aufgrund des katastrophalen Parkplatzangebots immer noch zunehmenden Parksuchverkehr, marode Verkehrswege für alle und auf ein Radwegenetz bei dem der Slogan „Mut zur Lücke“ noch maßlose Überhöhung wäre.
Manchmal genügt ein Blick über den Tellerrand, um zu sehen welche Suppe die Darmstädter Grünen auszulöffeln haben. Nach 66 Jahren schickten die Darmstädter Wählerinnen und Wähler die Sozialdemokratie 2011 auf die harte Oppositionsbank. Nicht zuletzt die wenig stringente Verkehrspolitik hat dazu geführt, das der ganze Norden zum Teil mit absoluter Mehrheit an die Grünen ging. Das ausgerechnet für diese verkehrsreichen Stadtkern-nahen Stadtteile ein ehrgeiziges Verkehrsprojekt bis zu einem Bürgerentscheid durchgeprügelt wurde verhalf dazu. Fast dreistellig wurde für eine nach Vorstellung der Darmstädter CDU vierspurig zu bauende Unterführung für den Transitverkehr „in die Hand genommen werden“.
Nun ist angedacht in Darmstadt Fahrradstraßen auszuweisen. Fahrradstraßen sollen also dort entstehen,
Einen Ratschlag habe ich noch an die mitlesende Parteispitze meiner Darmstädter SPD: Den Wahlkampf um den Autofahrer gewinnt man nicht, indem man gegen die Beschneidung vermeintlicher Freiheiten der Autofahrer in Erscheinung tritt andere, noch mehr Straßen baut oder andere Verkehrsmittel madig macht. Es genügt manchmal an alle zu denken, dann ist an jeden gedacht. Fahrradstraßen sind nicht die Klientelpolitik zu der sie von euch verzerrt dargestellt wird. Es handelt sich um einen Versuch einen andernorts längst etabliertes Bestandteil unser aller Verkehrssystem zur Sicherheit eines noch für eine Minderheit von glimpflich zweistelligen Prozentzahl aller Kilometer verwendetes Verkehrsmittel.
Bildquelle: Wikipedia-Artikel Fahrradstraße, konvertiert mit Hilfe von mobilefish.com
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