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tl;dr

Wir seien zusammengetreten, „weil wir für beide Wahlgänge mehrere Alternativen haben.“, eröffnete die Vorsitzende Brigitte Zypries. Das impliziert, das es dessen nicht bedurft hätte, würde nur der amtierende Mandatsinhaber seinen roten Hut in den Ring werfen. Das mögen einige gedacht haben, die innerparteiliche Wahlen als überflüssig betrachten, weil sie ohnehin fremdbestimmt abstimmen. Doch den meisten dürfte die Wahlkreiskonferenz 49 ein Privileg gewesen sein.

Mir dieses Mal nicht. Ich war als Ersatzdelegierter nachgerückt, hätte mich im Grunde am liebsten nicht wählen lassen, weil zum Zeitpunkt der Wahl der Delegierten – unmittelbar nach der desaströs verlaufenen Darmstädter Kommunalwahl 2011 um den Spitzenkandidaten Michael Siebel – bereits fest stand, das Aufarbeitung bedeutet, das bereits alles fest steht.

Meinen Hut hatte ich seinerzeit in den Ring geworfen, im Vorfeld meiner Kandidatur den damaligen – und auch hier weiterhin amtierenden – Vorsitzenden davon in Kenntnis gesetzt, das ich als Vorsitzender des Ortsvereins kandidieren wolle. Anders als leider inzwischen üblich in unserer Partei hatte ich die Reihenfolge gewahrt, und war auch nicht darum bemüht Schaden anzurichten, sondern vielmehr abzuwenden: Mit einem Wechsel an der Spitze des Ortsvereins Martinsviertel-Johannesviertel hätte man nach der Kommunalwahl Zeichen setzen können für einen Neuanfang. Der bedeutete in SPD Darmstadt allerdings, wie sich herausstellen sollte, nur den Rücktritt des eigens vor der Wahl ins Amt gehobenen stellvertretenden Vorsitzenden und scheidenden Oberbürgermeister Walter Hoffmann. Der an seiner Abwahl maßgeblich beteiligte Michael Siebel führte die „Beschlüsse von Weimar“ herbei, die in der Lokalpresse genüsslich breit getreten wurden, infolge dessen die Partei zerstrittener denn je wirkte. Nach 66 Jahren hieß es folgerichtig: rote Opposition, und grüner Oberbürgermeister. Das diejenigen, die daran ihren Anteil hatten, ihren Hut nahmen, daran denkt bis heute keiner. Das Gegenkandidaturen genau als das verunglimpft werden, was man selbst zuvor in aller Öffentlichkeit mit dem Oberbürgermeister exerzierte: keine Rede von! Nun war Jahreshauptversammlung, und alle Vorstandsmitglieder informiert. Im stickigen, mobilfunkfreien Bunker kamen nicht einmal zwei Dutzend zusammen, immerhin um den Neuanfang zu wählen, oder immerhin den Status Quo zu zementieren. Und in jener Sitzung erklärt plötzlich und unerwartet ein Genosse seine Kandidatur, der an einem Neuanfang nicht interessiert sein kann: Von der Parteispitze mit schlechtem Listenplatz abgestraft kandidierte der selbst, mit eigener Liste. Das Ergebnis war desaströs, der Genosse gemäß Satzung ausgeschlossen und erst in einem mühsamen Verfahren hat sich wieder in der Partei eingefunden, gegen die er selbst noch fünf Jahre zuvor kandidiert hatte. Und nicht einmal annähernd eine Hand voll Genossen unterstützten seine Kandidatur, wie sich später herausstellen sollte, als ich meine zurückgezogen hatte, weil ich auf diesen taktischen Dreck keine Lust habe. Taktieren, Hinterzimmer, kleine Zettelchen mit ebenso klein gedruckten Wahlempfehlungen, Überraschungskandidaturen, gegen uns selbst gerichtete Leserbriefchen, Handel – um nur ein paar der intransparenten Winkelzüge zu nennen, die mir spontan in den Sinn kommen, sind mir ein Gräuel. Dem Andern nicht. Und so blieb der ehemalige Spitzenkandidat Vorsitzender, nachdem er seinen Hut wieder mit großzügiger Geste in den Ring warf, als keiner der KandidatInnen die erforderliche Mehrheit erreichte.

Doch zurück zur Delegiertenversammlung, deren Zweck ja die Wahl des „neuen“ Vorsitzenden sein sollte: Drei Ortsvereine mussten hierbei spontan für die Zählkommission nachmelden. Mit anderen Worten hatten drei Ortsvereine es nicht geschafft die gemeldeten Parteimitglieder zu dorthin zu mobilisieren, noch das zu erkennen, noch jemand zu deren Ersatz zu bestimmen.

Im „Internetloch“ (sinng.), das die Piraten meiden würde wie der Teufel das Weihwasser, im „Heiner-Lehr-Zentrum“, das als architektonische Meisterleistung bezeichnet werden darf, denn die Räumlichkeiten sind für die meisten Veranstaltungsarten aufgrund der von der für die Statik eingelassenen Säulen, die jeden Furz in die darüber liegenden Wohnungen transportieren, nur für Parteitage und Beerdigungen nutzbar.

Die erste Rede hält der Amtsinhaber, was per Losverfahren bestimmt wurde. Er begann um 19:22 Uhr mit den für einen in der vierten Legislaturperiode befindlichen Berufspolitiker schon sehr bedeutungsschwangeren Worten „Der Wille auf Veränderung“, und endete pünktlich wie ein Mathelehrer nach akademischer Viertelstunde um 19:37 Uhr. Rhetorisch bemerkt man wiederkehrende Rümpfe, wie die Wiederholungen: Wiederholte er noch bei der Vorstellungsrunde der Jusos „Jusos, Jusos, Jusos“, war es jetzt „konkret, konkret, konkret“ – augenscheinlich um dem Unkonkreten der 14 Jahren währenden Oppositionsarbeit entgegen zu wirken. Das er „Juso-sozialisiert sei“ vermied er dagegen heute zu erwähnen, auch die vielfältige Laufbahn bei den Jusos hielt er wohl für unangebracht für eine Nominierungsrede. Für das Einschmeicheln bei den Jusos hatte es noch gereicht. „Jeder hat die selbe Kompetenz in Politik“, und so sieht er sogleich alle gesellschaftlichen Gruppen am „grünen Tisch“ zusammen kommen. Das damit Bürgerbeteiligung gemeint sein könnte, verliert sich in den Floskeln. „Für mich hat die Partei das Prä. Das hört sich vielleicht trivial an.“ Ist es auch. Natürlich hat der Genosse Vorsitzende hiermit nur gekonnt an die gepeinigte sozialdemokratische Seele der Menschen appelliert, ohne zu erwähnen, gegen den eigenen Grundsatz vom „Prä der Partei“ schon oft genug selbst verstoßen oder es in die gewünschte Richtig gelenkt zu haben.
An die bei den Emotionen gepackten Genossen gerichtet ergriff er sodann sowohl neue Politikfelder für sich, wie beispielsweise die Ordnungspolitik gepaart mit Sozialem und Familie: Anteilnahme an den Sorgen und Nöten der Staatsbediensteten, exemplarisch „Einkommensschicht Streifenpolizist“ kommt merkwürdig bekannt vor? Im Landtagswahlkampf 2007/2008 hatte die hessische SPD die 42 Stunden Woche für die Polizei kritisiert.
Den möglichen Vorwurf, durch seine vielfältigen Sprecherfunktionen, die zahlenmäßig nur noch von der der hessischen Ministerien übertroffen sein dürfte, lächelte er mit „Mädchen … Junge für Alles in der SPD Landtagsfraktion“, um sogleich an seinen Arbeitseifer („240 Pressemitteilungen“) zu erinnern, sich gleichwohl bei den (zum Teil wahlberechtigten mittelbar- und unmittelbar) Beschäftigten zu bedanken. So viele Pressemitteilungen imponiert natürlich, mit etwas Grundschulmathematik allerdings wird aus einer Menge eine pro Woche. Und wer so eine Pressemitteilung mal gesehen hat, dem wird herausbrechen: die fallen leicht, mit Textbausteinen.
Dann kam der unausweichliche Schwenk in die Bildungspolitik, woraus ein Zitat, das ich mir in meine Notizen verewigte am nächsten Tag in der Presse stand: „G8 Murks“. Das kam mir gleich merkwürdig bekannt vor, neben schlicht merkwürdig Anlass dafür mal eine Suchmaschine zu bedienen: „G8 Murks“ ist Sprachregelung, mein Tipp wäre: SPD Fraktion. Der tiefgründige Populismus gefällt jedenfalls.
Nach vier Legislaturperioden oder 13 Jahren bittet Michael pünktlich nach 15 Minuten mit seinem“derzeitigen Lieblingszitat“ von Biermann aus roter Nacht um Vertrauen – und auch das ein wiederkehrend eingesetztes Werkzeug: Zitate. Ob auf dem Leitantrag zur historischen Niederlage 2006, bis hin zu dieser Rede wird immer wieder aus Reden entlehnt und an beliebten Persönlichkeiten angelehnt.

Michael Siebel sicherte sich das Ergebnis noch vor Verkündung, und notierte zwei Köpfe von der Presse entfernt in klarer, deutlcher Schrift: „37 17 2“

Wer einen langen Schatten wirft, kann nicht gleichzeitig drüber springen.

Wieder ein halbes Dutzend Jobs direkt oder indirekt gesichert. Die bedanken sich brav unmittelbar.

Heute wird niemand als „autistischer Politiker“ weggelobt. Das war dem Laudator für Michael Siebel, Hanno Benz, bei seiner Kandidatur passiert. Die Laudatio fällt wortgewaltig aus – ganz ohne Mikrofon, das wie vom Präsidium bedeutet ausgefallen sei.

Anderthalb Stunden nach Beginn der Veranstaltung löst Prusten erleichtertes Aufatmen ab, das auf Kurzatmigkeit derer folgte, die dachten das ihre Luft dünner.

„Das wir keine Regierung bilden konnten, gelang aus verschieden Gründen nicht.“ wird zur Verteidigung genannt. Den wichtigsten Grund konnte man von den Grünen hören, wenn man nicht wollte in der Presse nachlesen: Mit der alten roten Garde konnte man sich keinen Neuanfang vorstellen. Mit der CDU schon eher; das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Nach Frankfurt, Wiesbaden zieht auch die Darmstädter CDU es vor, Blitzableiter für eine erzkonservative Leitkultur zu sein, als mit Michael Siebel (Spitzenkandidat), Hanno Benz (Fraktions- und Parteivorsitzender) usw. usf., um nur diejenigen zu nennen die ihre Verantwortung aus der Situation nicht gezogen haben, sondern vielmehr neue und höhere Ämter anzustreben.

69%, aufgerundet, entfallen auf den Amtsinhaber.

Im nächsten Wahlgang werden abermals 56 Stimmen abgegeben, 3 davon ungültig gemacht, und bei 4 Enthaltungen unterlag auch in dem Wahlgang die Frau Uli Poth, mit 18 Stimmen, dem Mann, Moritz Röder, mit 31 Stimmen. Mit den sieben bewusst oder unbewusst ungültig gemachten Stimmen entspräche das Ergebnis für Moritz Röder, dem des ebenso routiniert palavernden Michael Siebel. In solchen Fällen spricht man, glaube ich, von einer „strukturellen“ Mehrheit, meint aber organisierte.

4 Männer als Direktkandidaten oder deren Stellvertreter stehen mindestens bei der kommenden Landtagswahl 2 Frauen von der CDU gegenüber. Klaaf-Isselmann im Wahlkreis 49, fest verankert in verschiedenen Feldern, die sich der Kandidat der SPD bei der letzten Wahl zur Zielgruppe gemacht hat, aber zumindest in der Landespolitik noch ein Greenhorn. Karin Wolff im Süden von Darmstadt und darüber hinaus, mindestens ebenso lang mit Mandat ausgestattet wie Siebel, hat es als bekennend homosexuelle Kreationistin geschafft, sich in der CDU zu behaupten und auch das Direktmandat wieder zu erringen. Um es mit den Worten eines Stadt-bekannten Genossen aus dem Dunstkreis von Michael Siebel, Hanno Benz und Dieter Wenzel zu sagen: „Viel Spaß beim Wahlkampf.“ Mit den Worten verließ der ehedem für Antragsprüfung bei den Parteitagen zuständige Franz Volkers die Delegiertenversammlung in Roßdorf, bei der kurz zuvor der Darmstädter Hanno Benz eine empfindliche Niederlage erlitten hatte.

Zur Einigkeit, die zu Anfang der Rede von Monika in Aussicht gestellt wurde, gibt es in Darmstadt keine Alternative – allem Negativen zum Trotz. Dennoch darf ein Fazit erlaubt sein:
Wer so viel weg gebissen hat, sollte sich nicht wundern, wenn vom Kuchen am Ende nichts mehr übrig ist.

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