Egon Bahr: Das musst du erzählen!

»Wenn man überzeugt ist, das Richtige und Notwendige zu tun, ist es besser mit wehenden Fahnen unterzugehen, als einzuknicken.« hat Willy Brandt höchstselbst einmal gesagt, lang bevor er hin schmiss. Egon Bahr hat mit seinem »Das musst du erzählen!« auch eine sehr persönliche Biographie über Willy Brandt abgeliefert, allerdings nicht zuletzt auch seine eigene Autobiographie. Ein paar Stichproben liefere ich hier, verbunden mit einer dringende Leseempfehlung meinerseits.

Erfahrung kommt von Erfahrungen

Es ist eine Tatsache, das wir weder in die ferne noch in die nahe Zukunft sehen können; Erfahrungen, auch Fehler der Vergangenheit, sind nicht erblich und also müsse sie jeder selber machen. Mit dieser Quintessenz aus der Geschichte jedes Einzelnen und der der Welt insgesamt wartet Egon Bahr nicht bis zum Schluss, sondern kommt im Kapitel mit dem Titel „Alles oder nichts“ darauf und in Fahrt.

Egon, der Eierkopf

Egon Bahr erzählt von Jochen Steffen (seinerzeit SPD-Vorsitzender Schleswig-Holstein), der ihn mit den Worten »Solch einen Eierkopf können wir brauchen« für ein Bundestagsmandat empfahl. Damals war Bahr nur Entourage von Brandt, bei einer Wahlniederlage wäre er zum Versorgungsfall geworden. Fortan pendelte er also zwischen Bonn und der Nordseeküste, wo er nun kandidierte. Damals war das noch eine stattliche Bahnreise, doch gewiss auch eine Pause vom hektischen Politikbetrieb der vorübergehenden Hauptstadt der Bundesrepublik. Heute, da Köln und Frankfurt nur noch eine Stunde mit der Bahn trennt, und man in vier im ICE in Hamburg ist beschwert man sich über Funklöcher nur noch, wenn man Euro- oder Intercity fährt und deswegen von den Eilmeldungen verschont wird.

Politkommissar trifft Wehrmachtsoffizier

Beim Abendessen bei Brandt trafen mit dem ehemalige Politkommissar der Roten Armee Leoid Iljitsch und ein Oberleutnant der Wehrmacht Helmut Schmidt aufeinander zwei aufeinander, die jetzt zu Entspannungspolitik beitrugen, an der deutsch-russischen Front aber schon einmal gegeneinander gekämpft hatten, was beide erste durch gegenseitige Schilderung der Schlachten bei Tisch erfuhren. Als der zur Unterzeichnung des Grundlagenvertrags angereiste längst wieder in Moskau war, war es der Münchener Provinzprominenz ein Bedürfnis eine Einstweilige Verfügung gegen den Grundlagenvertrag zu erwirken, die in mündlicher Verhandlung in Karlsruhe mit einstimmigem Votum abgebügelt wurde.

Bayern, gegen den Grundsatzvertrag, das ist wie Süddeutschland, ohne Stromtrasse und Atomkraftwerke. Geschichte wiederholt sich eben, und Seehofer ist auch nur ein untalentierter Strauß.

Nationalsozialismus totschweigen, Sozialisten niederbrüllen

Bemerkenswert fand ich, das Helmut Schmidt, von dem ich nie besonders viel hielt, folgendes gesagt haben soll: »Es ist schädlich, dass nach 1990 mit den Kommunisten schlimmer umgegangen wurde als 1945 mit den Nazis.« Hat er natürlich Recht, aber hat sich nach der Wende auch nicht wirklich um Mäßigung in unseren Reihen bemüht. Es gibt sie noch heute, die Mahner vor „den Kommunisten“, nicht nur in den Reihen der Stahlhelmfraktion der CDU. Aber wer nicht vergeben kann, dem wird auch nie verziehen werden.

Bargeldlos

Willy Brandt dürfte einer der wenigen gewesen sein, der in der gesamten Stadt bargeldlos einkaufen konnte, bevor das Buchgeld eingeführt wurde: »Ich habe nie ein Portemonnaie in seiner Hand gesehen. In einem Stammlokal verfügte er, die Rechnung solle ins Rathaus geschickt werden. Vor einer Reise nach Amerika fragte er, ob ich ihm nicht einen Redeauftritt gegen Honorar besorgen könnte. Er könne dann Rut mitnehmen.«

Exilant Brandt

Wer Nachkriegsdeutschland verstehen will, kann das indem er dessen Umgang mit Flüchtlingen aus der Perspektive eines ehemaligen Flüchtling nachempfindet: »Die Nationalsozialisten hatten Willy Brandt seine Staatsbürgerschaft aberkannt, deshalb musste der bei seiner Rückkehr aus dem Exil seine Einbürgerung beantragen. Verwaltungsakte, die das verbrecherische Regime vollzogen hatte, rückgängig machen zu müssen kommt doch einer nachträglichen Legitimation gleich», fand Egon Bahr, und ich stimme zu. Allerdings waren die Beamten und Behörden ja auch dieselben.. Will sagen: Wenn der deutsche Apparat staatsbürgerliche Pflichten aus staatsbürgerlichem Unrecht des Deutschen Apparat ableitet macht er sich mit ihm gemein. Und so war es auch. Und daran erinnerte Bahr später: »Nach den Kriterien, die Joschka Fischer als Außenminister anordnete, erhielten ehem. Mitglieder der NSDAP keinen ehrenden Nachruf mehr in der Mitarbeiterzeitschrift des Amtes.« Es dauerte also bis zur ersten rot-grünen Bundesregierung und es bedurfte eines Grünen im Amt des Außenminister, um mit den letzten Unrecht des Dritten Reich aufzuräumen.

Altnazi Kiesinger

»Wie komme ich dazu, mir von diesem alten Nazi Vorschriften machen zu lassen.«

soll der damalige Außenminister Brandt über Bundeskanzler Kiesinger gesagt haben, der ihn 1968 per Fax (!) anwies sein Redemanuskript so zu verändern, das dessen Vorhaben, Deutschland bei der friedlichen Nutzung von Atomkraft eine Sonderstellung zu verschaffen, unterminierte.

Die fünf W?

»Im August 1945 hatte ich gerade die amerikanischen Grundregeln für eine Nachrichtenmeldung gelernt: Wann, wer, wie, wo und was müssten im ersten Satz beantwortet werden.«

Das waren noch Zeiten. Ich habe das in der Schule gelernt, allerdings nicht bei der Schülerzeitung.

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