SPD-Rechte in Hessen proben Aufstand: Jürgen Walter
»Wir wollen diese Landesregierung im Jahr 2008 ablösen.«
Markige Worte des Mannes, der wenig später einer Frau unterlag, von der man noch häufiger hören sollte: Während der alljährlichen Landeskonferenz der Jusos Hessen sprachen beide möglichen Spitzenkandidaten noch davon Roland Koch ablösen zu wollen. 16 Monate später löste Andrea Ypsilanti ihr Versprechen ein, Jürgen Walter sollte es nur einen Tag vor der Wahl seiner größten Widersacherin wieder einkassieren.
Aufzeichnung einer Rede vom 24. September 2006, von den Jusos Hessen-Süd, veröffentlicht Mitte November
Jürgen Walter stieß den innerparteilichen Prozess mit dem Ziel einer Linken-tolerierten rot-grünen Koalition und zur Regierungsbildung selbst an.
Anfang August 2008 treffen seine Wenigkeit, Carmen Everts, Nancy Faeser, Nina Hauer, Gerrit Richter als Vertreter vom sog. Netzwerk Hessen mit Andrea Ypsilanti, Gernot Grumbach, Norbert Schmitt in Eschborn, der Heimat des damals geschäftsführenden Ministerpräsidenten Roland Koch – ein Treffpunkt im tristesten Teil des Taunus. Klare Forderung von Jürgen Walter und ihm umgebender Gruppe war genau der Fahrplan, dem die SPD Hessen bis zum November folgte: Verfassungstreue von Die Linke sicherstellen, Parteibasis in Regionalkonferenzen befragen, Absegnung von Koalitionsverhandlungen und -verträgen auf Parteitagen – und natürlich Posten im aufzustellenden Kabinett. Die Vorbereitungen nahmen ihren Lauf, genau drei Monate später soll der Prozess mit der Regierungsbildung in einer Linken-tolerierten rot-grünen Koalition münden.
Ich.
Jürgen Walter schloss seine persönliche Erklärung mit folgenden Worten »Ich weiß, was meine Entscheidung bedeutet – aber ich kann dieser Regierung meine Zustimmung nicht geben.« Lässt man auf Halbgeviertstrich folgende Konsequenzen – denen sich Jürgen Walter gewärtig erklärt – weg, bleibt von diesem Satz nur »Ich weiß, was meine Entscheidung bedeutet (…)« übrig – kein Wort also von unserem Land oder unserer Partei. Selbstverständlich ist der Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet, insofern nur verständlich das er seine persönlich Erklärung nicht damit schließt. Interpretationswürdig ist daher höchsten die Worthäufigkeit, in 11 Sätzen fällt 14 Mal das kleine Wort Ich:
Ich habe seit Februar immer wieder den Kurs der hessische SPD kritisiert. Parallel dazu aber auch immer versucht, konstruktiv mitzuarbeiten. Deshalb wurde ich oft als wankelmütig und inkonsequent kritisiert. Zu Recht!
Ich war in der Tat in den letzten acht Monaten permanent hin und her gerissen zwischen der Loyalität zu meiner Partei und meinen Freunden in dieser Partei auf der einen Seite und meiner tiefen Überzeugung, dass eine von den Linken toleriert Minderheitsregierung dem Land Hessen, aber auch meiner Partei, schaden würde.
Ich weiß, dass diese innere Zerrissenheit mein Bild in der Öffentlichkeit geprägt hat.(…) Aus heutiger Sicht muss ich mir eingestehen: es war ein großer Fehler, dass ich mich nicht schon im März neben Dagmar Metzger gestellt und sie unterstützt habe. (…)
Heute stehe ich am Ende dieses langen und schwierigen Abwägungsprozesses. Am Samstag habe ich auf unserem Parteitag deutlich gemacht, dass ich nicht nur Sorge vor dem Einfluss der Linkspartei habe, sondern dass ich durch die rot-rot-grüne Regierungspolitik Zehntausende Arbeitsplätze gefährdet sehe und ich habe auch deutlich gemacht, dass diese Stromlinienförmigkeit der hessischen SPD nicht der Tradition unserer Partei entspricht. (…) Ich bin heute mit mir vollständig im Reinen. Ich weiß, was meine Entscheidung bedeutet – aber ich kann dieser Regierung meine Zustimmung nicht geben.“
Wer noch einmal genau hingeschaut hat, dem wird aufgefallen sein, was fehlt, nämlich das Wir.
Methode Wiederspruch
- Jürgen Walter initiierte den Prozess, an dessen Ende eine Regierungsbildung unter Einbeziehung der Grünen und Tolerierung durch Die Linke stehen sollte. Diese Vorbereitung des zweiten Anlaufs einer Linken-tolerierten rot-grünen Koalition kommentierte er auf SPD-Parteitag am 4. Oktober 2008 mit den blumigen Worten sie seien »Vorbild für innerparteiliche Demokratie. (…) Lasst uns heute die Ampel auf grün stellen, damit wir die Chance haben, dass dieses Land wieder rot wird.«
- Jürgen Walter verhandelte den Koalitionsvertrag mit und lehnte ihn vor einberufenem Parteitag ab. 90 Tage vergingen zwischen seinem Vorschlag, Die Linke toleriert eine Regierung zu stellen und damit Roland Koch abzulösen. 18 Tage dauerten die Verhandlungen, im Verlaufe derer er in alle Bereiche eingebunden war, zu deren Ende er abermals zu Protokoll gibt: »Ich werde Andrea Ypsilanti wählen.«
- 24 Stunden vor dem entscheidenden Wahlgang gibt Jürgen Walter bekannt, Andrea Ypsilanti nicht wählen zu können.
Dies – freundlich umschrieben – zutiefst widersprüchliche Verhalten vor dem höchsten Gremium seiner Partei hätte dieser zu denken geben sollen.
Jürgen Walter erhielt jenen Posten im Kabinett angeboten, mit dem er zum obersten Verfassungswächter aufgestiegen wäre und mit dem er tatsächlich etwas gegen Extremisten in Die Linke hätte tun können. Jener Posten des Innenministers, auf den er im sog. ZUKUNFTSTEAM von Andrea Ypsilanti und der hessischen SPD hingearbeitet hatte, nachdem die Wahl nicht mehr aussichtslos verloren galt, hätte ihm die Macht verliehen gegen die Leute in Die Linke vorzugehen, von denen er behauptet mit ihnen ob ihrer Geisteshaltung und Gesinnung nicht zusammenarbeiten zu können.
Bereits bei der Berufung in Ypsilantis Schattenkabinett legte Walter unterschwelligen Widerstand an den Tag: Während sich alle Berufenen mit dem abgestimmten Begriff ZUKUNFTSTEAM abfanden, wählte der designierte Innenminister den Titel Kompetenzteam. Noch neun Monate nach Ende des Wahlkampfes fand sich an hervorgehobener Position auf seiner Website der Hinweis auf seine angestrebte Position, »Innenminister im SPD-Kompetenzteam«
Entgegen dieser frühen Zusage legte sich Jürgen Walter in den Koalitionsverhandlungen dann auf das Wirtschaftsministerium fest, was zur Ausgrenzung des als Parteilinken geltenden Hermann Scheer hinführen musste, der für dieses Resort wie Walter für das Innenministerum gesetzt war. Leider gibt seine Website hierüber keinen Aufschluss mehr, doch das Netz vergisst nie:
Website Jürgen Walter, designierter Innenminister
Methode Ausgrenzung
Hermann Scheer, designierter Wirtschafts- und Umweltminister im SPD-ZUKUNFTSTEAM, bestätigte die Luftbuchung Walters in einem Interview des Stern:
Jürgen Walter kann doch nicht behaupten, ich hätte ihm den Posten des Wirtschaftsministers vor der Nase weggeschnappt, der ihm angeblich zugesichert gewesen sei. Das ist total abwegig. Der hat immer gewusst, dass er das nicht wird.
Scheer als Linker war Jürgen Walter sicher ein Dorn im Auge, zumal nicht originär aus Hessen und im erfrischenden Kontrast zu manch anderem Politiker von Haus aus mit Fachkompetenz ausgestattet. Die Beanspruchung dem Träger des alternativen Nobelpreises zugesprochenen Ministeriums wäre demnach ein guter Hebel gewesen, seinen Kontrahenten aus dem Kabinett herauszuhalten.
Nachdem seine Website über Monate hinweg keine Aktualisierungen mehr erfuhr, verschwand Jürgen Walters Berufswunsch ausgerechnet in der Woche seiner verhängnisvollen Entscheidung. Auf der Website der SPD Hessen hingegen kann man sich diesen Umstands weiterhin versichern (vgl. Pressemeldungen unter Meldungen am Fuss der Webseite).
Mein Gott Walter
Übrigens: Wenngleich es seine Privatsache ist, mit wem er seine Freizeit verbringt. Das es Roland Kochs ehemalige Pressesprecherin war, und er das lange Zeit verschwieg, spricht nicht für Vertrauen in sein politisches Umfeld.
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