Identitäre, Islamistien und Impulse

Am 11. Mai verlieh die Schader Stiftung den nach ihr benannten Preis 2017 an Nicole Deitelhoff1. Die bedankte sich bei der anwesenden Darmstädter Prominenz mit ihrem Vortrag „Der Streit als Quelle der Erneuerung Demokratischer Gemeinwesen„, indem sie auf die Differenzen im demokratischen Diskurs abstellt, und das es gut wäre, die wieder mehr zu betonnen statt auf den Konsens zu betonen. Kurz: Mehr Mut zu Misstönen!

„FAKE“ News und die Begrifflichkeit Alternativer Fakten haben sich abgenutzt. Wir leben längst in einer Zeit, in der Konsens, jener kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die größten Widersacher einigen können, zum größtmöglichen Wurf hochstilisiert werden. Dafür kann auch Donald Trump nichts, er spielt allerdings auf der Klaviatur wie kein zweiter. Problematisch wird es erst, wenn das Original reflexartig alles als „FAKE“ deklariert, auch Originale.

Mit Rechten kann man sich nicht unterhalten, denn deren Weltbild hat ein kleiner, erfolgloser Landschaftsmaler aus Österreich gezeichnet. Eine Stichprobe unter den denjenigen, die sich nach der Privatisierung2 am Shitstorm beteiligt haben, hat ergeben, dass einer von zehn keine dezidiert rechten Hintergrund hatte. Da eine Resonanz seither in ohne Referenz auf den Account nur noch auf die Tweets aus dem Spektrum möglich ist, kann daraus geschlossen werden, das all jene, die sich an daran beteiligt haben, im selben Verhältnis zusammensetzten. Die dem zuzuordnen ist manchmal nicht so einfach gewesen, wie etwa bei dem der gern in den Flugsimulator steigt, um mit deutschen Flugzeugen Alliierte vom Himmel zu holen, oder bei dem, der dem Londoner Oberbürgermeister unterstellte, das er Millionen Koran kostenlos in London verteilen ließ3, oder denjenigen, die sich an Kampagnen gegen „#Rapefugees“ oder „Lügenpresse“ beteiligen; oder für die AfD, und so weiter, und so fort.

Niemand ist hierzulande davon betroffen. Selbst Betroffenheit zu heucheln, indem man sich auf den Breitscheidplatz bezieht, rückt diejenigen, die sich daran beteiligt haben, nicht näher an die Opfer von Anis Amri heran. Und die werden sich über die Solidarität aus dem Spektrum nicht freuen. Denn die Rechten missbrauchen die Toten wie die konservativen Innenpolitiker für jeweils ihre Zwecke. Die Bezugnahme auf den Breitscheitplatz, oder welches Ereignis gerade zweckentfremdet wird, ist zynisch. Die einen schlachten die Opfer aus, um Vorratsdatenspeicherung oder sonstige Sicherheitsgesetze zu fordern, die anderen um Sippenhaft für all jene geltend zu machen, die sie für deren Brüder im Geiste halten: Muslime. Und das die sich genötigt sehen – oder wie von Marek Lieberberg neulich dazu direkt aufgefordert werden, bei jedem der Ereignisse Verantwortung und Schuld dafür von sich zu weisen, und die Täter zu verurteilen, ist vergleichbar mit dem Reflex, den die Distanzierung der SPD aufgrund des Tweets hatte. Rechte führen die demokratische Gesellschaft am Nasenring durch die Manege Veröffentlichte Meinung zerren zu lassen.

Am 31. Mai gab es bei einem Anschlag 90 Tote in Kabul, darüber hat am übernächsten Tag schon niemand mehr ein Wort verloren. Dabei ist die Chance, einem islamistischen Terroranschlag zum Opfer zu fallen, ist vor Ort ungleich höher. Hinzu kommt die Chance, einem Drohnenanschlag zum Opfer zu fallen überhaupt erst gegeben. Drohnenanschlag? Ist das nicht ein wenig zu hart? Ich denke nicht. Kollateralschäden von Drohnenangriffen übersteigen die eigentlichen Ziele um das zehnfache, und Drohnenpiloten operieren befehlsgemäß wie Attentäter: Nachdem die erste Salve Hellfire ihr Ziel erreicht hat, und Helfer am Ort des Geschehens eintreffen, wird dasselbe Ziel erneut angegriffen und die Helfer sterben. Das ist so Menschen verachtend wie ein Anschlag, also kann man es auch beim Namen nennen.

@SPDDarmstadt stand für Sozialdemokratische Parteibasis Deutschland Darmstadt, das stand so auch im Profil. Das ein, mein Vergleich, die Gefahr von Islamisten mit der von Identitären gleichzusetzen, habe ich als Parteimitglied der SPD und dezidiert als Genosse der Darmstädter SPD kommuniziert, wenn auch per Pseudonym. Und ich stehe bis heute zu dem Urteil. Auch noch Wochen nachdem die rechte Mischpoke der Identitären in Südhessen die Darmstädter SPD vor sich her trieb.

Durch die gut vernetzte rechte Bewegung, deren Gesinnung sich wechselwirksam ergänzt, aber die sich immer vereint über die von einem Beteiligten dazu erklärten Opfer her.

Resonanzkörper ist laut Wikipedia ein hölzerner oder metallener Hohlkörper. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Eine Echo-Kammer ist ein hohler, hölzerner Körper. Und weil beim Menschen die Geräusche dem Kopf entweichen – zumindest meistens – ein Holzkopf. Wenn man auf so einen Resonanzkörper drauf schlägt, erzeugt diese Echo-Kammer ein um ein Vielfaches verstärktes Geräusch. Genauso verhält es sich Shitstorm. Wer einen Mixer irgendwo rein hält, sollte sich nicht wundern, wenn es spritzt. Und wenn man einen Mixer in die Toilette hält, dann eben Gülle. So wie bei meinem Vergleich der Identitären mit den Islamisten. Wer angesichts deren Ambitionen im Mittelmeer und ausweislich brennender Flüchtlingsunterkünfte behauptet, deren Gesinnungsgenossen hätten keine Menschenleben auf dem Gewissen ist naiv, und wer behauptet, die Identitären hätten derer weniger als Islamisten, der kann nicht rechnen.

Aber um Inhalte ging es nicht. Es ging um Reichweite und Reflexe.

Reichweite erhielt der Tweet nicht, weil er wahr war. Reichweite erhielt er, weil man sich zur Unzeit einem gut vernetzten rechten Mob ergab, der seine eigene Reichweite sehr gut überhöhen kann. „Identitäre sind im Vergleich zu Islamisten das weitaus schwerer wiegende Sicherheitsproblem.“ schrieb ich. Da stand zwar nicht, Identitäre haben am Breitscheitplatz, London oder sonst wo Menschen umgebracht. Da steht ja noch nicht einmal, das ein Sympathisant der Identitären Bewegung namens Breivik 77 Kinder und Jugendliche ermordet hat. Da steht nur, das die von den Identitären ausgehende Bedrohung schwerer wiegt als die von Islamisten. Denn, und das ist meine Meinung, von Rechten jeder Schattierung, Revanchisten, Republikfeinden, Rassisten, Repatrisierern und Renationalisierern, und all das sind Identitäre, geht mehr Gefahr aus als von Islamisten. Das von ihnen auch letale Gewalt ausgeht, das stand da nicht.

Trotzdem hat die SPD Darmstadt einem Impuls nachgegeben, der von Rechten ausging. Auf einen Shitstorm der Entrüstung haben sie zunächst nicht nur auf den eigenen Profilen in Sozialen Medien sondern auf der eigenen Website einen Screenshot des Tweet veröffentlicht, der mit „FAKE“ verziert war, das einem Stempelbild ähnlich über dem Tweet stand. Und also konnten alle Anhänger der Darmstädter, und von denen hatte bis dahin fast keiner den Tweet überhaupt zur Kenntnis genommen, wenn überhaupt einer die Tweets des @spd_darmstadt zur Kenntnis respektive die der @spddarmstadt ernst nimmt. Jetzt war es auf einmal eine Eigenveröffentlichung, und das ganz ohne Not und nur auf das Insistieren der Identitären hin.

Man muss den Identitären kein Forum geben, schon gar nicht sollte man ihnen nachkommen. Da kann man nur verlieren. Identitäre begreifen sich als Intelligenzia der nationalen Bewegung. Aber sind Identäre überhaupt Rechte, oder vielleicht nur stolz, auf sich, auf Deutschland? Es gibt ein, das Argument, das die Nähe zum Nationalsozialismus untermauert, und das an sich nur eine Parallele ist, aber das den Indizien die ideoloigsche Wurzel aufzeigt: Identitäre machen gern Sport, Kampfsport, und sie wehren sich mit nicht nur mit Händen und Füssen, oder greifen an, sie wehren sich auch mit Händen und Füssen gegen Vergleiche mit Wehrsportgruppen, wie der des Oktoberfestanschlags. Und woran erinnert das? Der paramilitärische Arm des Nationalsozialismus war eine Box- und Sportabteilung der NSDAP, die als „Saalschutz“ auftrat, aber „Angriff ist die beste Verteidigung“ verinnerlicht hatte. So wie sich Identitäre selbst darstellen: als aktive Kampfsportler, politische Aktivisten und mit einer Selbstvermarktung, wie sie seit dem Volksempfänger nicht mehr gegeben hat.

Ob wir Wahlkampf mit Emotionen machen wollen, oder die mit Empörung, ist einerlei. Denn es ist in beiden Fällen eines: Gefühl. An Gefühle appellieren liefert einem Gefühlen aus. Identitären kann man sich anschließen, weil sie eine Corporate Identity haben, die vordergründig nicht an die des Nationalsozialismus erinnert. Andererseits. Sie setzt sich aus drei Farben und geometrischen Symbolen zusammen. Gab es da nicht schon mal so was? »Aber das sind doch keine Nazis, sondern Neokonservative!!1!« höre ich dann und wann. Ja, es sind Es sind zumeist junge Leute, keine Altnazis. Sie kriegen mehr als einen graden Satz raus, und nicht nur immer denselben: „Ausländer raus!“ Und da eint Identitäre wieder mit den Ideologen der alten und neuen Nazis.

Zählt man alle Attentäter zusammen, die einen signifikante Bodycount vorweisen können, kommt man auf 100. Angefangen bei Atta bis hin zu Amri sind das aber so viele wie man an einer Hand aller Sicherheitskräfte abzählen könnte. Will sagen: Wenn die Sicherheitsbehörden endlich mal ihren Job machen würden, nachdem wir ihnen unsere Freiheitsrechte in den letzten 50 Jahren Scheibchen für Scheibchen opfern sollten, da wären da genug, die die Attentäter aufhalten könnten. Einerseits. Andererseits sind die Muslime, die sich für Islamisten zu entschuldigen haben, um das Hunderttausendfache gewichtiger. Auf jeden Terroristen kommen also nicht nur genauso viele Sicherheitskräfte, sondern ein Vielfaches derer, die sich danach für den rechtfertigen müssen. Dabei wäre es langsam an eben den Innenpolitikern und ausführenden Organen, sich bei der Gesellschaft zu entschuldigen. Eher jedenfalls als das man alle Muslime in Sippenhaft nimmt. Wie vor knapp hundert Jahren wieder einmal die Juden.

Aber letztlich sind Atta, Amri, Breivik, Zschäpe und all die anderen Attentäter nur Stellvertreter.

Islamisten rekrutieren Märtyrer, Identitäre Männer. Aber wer auch immer den Kopf hinhält und zweifellos zweifelhaft berühmt wird, wird gedeckt von einem Netzwerk Nutznießer. Egal ob Erdogan, Saudi Arabien oder sonstwer den islamistischen Terror finanzieren, oder der Verfassungsschutz den rechten: Die Strippenzieher haben ihre Verbindungen meistens hinreichend verklärt, um nicht als Anstifter hingestellt zu werden. Saudi Arabien oder den Verfassungsschutz so klar als Terrorfinanzierung identifizieren zu können hat letztlich nur mit deren Nachlässigkeit zu tun. Hätten die einen schneller geschreddert und die Saudis Strohmänner besser bezahlt, wögen die Zweifel an ihrer Mittäterschaft so schwer, das den Verdacht niemand ausspräche, der sich nicht verbrennen wollte. Aber inzwischen gibt es genug Literatur zu allen möglichen Hintergründen, und es ist alles gesagt, was es zum Thema zu sagen gibt: Deutsche Behörden haben ein vitales Interesse an rechtem Terror und bestimmte arabische Staaten am islamistischen. Und was hat das mit den Identitären zu tun? Die werden vom Verfassungsschutz inzwischen auch beobachtet, und also finanziert.

Mit dem RT nur des Tweet, mit „FAKE“ Badge und ohne die Bio zu zeigen, aus der klar und deutlich hervor ging, das es sich um Parteimitglied handelt, nicht die Partei an sich, hat die SPD in Darmstadt selbst Öl ins Feuer gegossen. Das war unprofessionell, zumal von einer Partei, deren Zugpferd beim letzten Oberbürgermeisterwahlkampf nicht nur baden ging, sondern auch regelmäßig zum Thema Soziale Netzwerke doziert. Eigentlich müssten die Beteiligten wissen wie so ein Shitstorm funktioniert, und das man den auch für seine Zwecke nutzen könnte. Stattdessen schwenkten sie die weiße Fahne und griffen sogar zum härtest möglichen Mittel: Der eine Account, der der Parteispitze, denunzierte den der Parteibasis, und zwar so das der gesperrt wurde.

Da half auch meine folgende Feststellung nichts: „Der Account ist, wie in der Bio seit 2009 festgehalten war, einer der Parteibasis („Hier twittert die Parteibasis, dort die @SPD_Darmstadt.“). Das hatte die auch im Verlauf des Threads eingeräumt. Auf dem mit „FAKE“ Badge versehenen Screenshot war das – absichtlich oder versehentlich – nicht zu sehen. Viel gelernt hat man bei der Darmstädter SPD weder aus den Workshops zu Sozialen Medien, noch zum Umgang mit Rechtsextremen. Die illustren Kreise, aus denen sich die Kommentatoren rekrutierten, bestand zu 90% aus den Gruppen „Lügenpresse“-Krakeler/GEZ-Kritiker, SPD-Hassern, Asylgegner bis zu „Rapefugees“, Besorgte Bürger, Islam=Terror-Gleichsetzern, AfD-Sympathisanten, NetzDG-egner/Maas ./. KoljaBonka-Supporter. Einer hatte die Behauptung aufgestellt, der Londoner OB verteilte Millionen Gratis-Korane in der Stadt. Wenn es das Ziel war, ausgerechnet jenen, die gegen Zensur sind, weil sie ihren Hass ungestört ins Netz transportieren wollen, den Steigbügel zu halten, dann hat es geklappt. Und das bereits ganz ohne NetzDG. Und dafür gegen die eigenen Leute. Überzeugt hat das keinen von denen. Mir hingegen vor Augen geführt, das mit der SPD in Darmstadt in Sachen Soziale Medien kein Staat zu machen ist.

Medienkompetenz kommt halt von Kompetenz.

  1. []
  2. das Profil @spddarmstadt nicht öffentlich zu machen []
  3. @neuthfer []
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