„Journaille“

„Journaille“ heißt das Schimpfwort, in Deutschland etabliert von Helmut Schmidt; es soll nach Kanaille klingen.

Helmut Schmidt kann man viel unterstellen, vielleicht sogar das er das Schimpfwort „Journaille“ mal gebraucht hat. Ihm aber zu unterstellen, er habe es „in Deutschland etabliert“ zeugt im besten Fall von blühender Phantasie, von Geschichtsvergessenheit oder von billiger Polemik. Jungen Journalisten kann man die blühende Phantasie noch unterstellen, älteren Geschichtsvergessenheit nicht; Polemik gehört in die Kommentarspalten, von denen man je nach Blatt vom „Neuen Deutschland“ bis zur „FAZ“ weiß, um welche Ideologie sie angereichert wurden. Doch der Verfasser dieses Artikels ist nicht irgendwer, kein unerfahrener Neuling aber auch kein in Würde ergrauter alter Hase. Und das Medium auch kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um Schelte für Sozialdemokraten geht.

Wer da wo schrieb, nämlich Volker Zastrow, Wortschöpfer hinter „Die phantastischen Vier“ und Verfasser der gleichnamigen in Buch gegossenen Enthüllungen, in der F.A.S., die am 4. November 2008 mit der Überschrift „Die phantastischen Vier“ und einem Foto dreier so genannter Sozialdemokraten, denen am Tag vor der Wahl ihr Gewissen in den Schoss fiel wie die Jungfrau zum Kind kam, nebst Kombattantin Dagmar Metzger – aufgemacht hat, lässt aufhorchen. Mit all seinen akribischen Aufzeichnungen aus den stürmischen Zeiten „hessischer Verhältnisse“ kam der selbe Journalist kurz nach den Schlagzeilen mit einem Buch zurück, in dem er schwere Fehler und Versäumnisse einräumte, eine Selbst- und Manöverkritik für die politisch Interessierte nochmal zahlen sollten, aus der er aber offenbar nicht gelernt hat.

Das „Journaille“ eben weder Wortschöpfung noch von Helmut Schmidt gebraucht wurde, stellt inzwischen dankenswerterweise auch der Wikipedia-Artikel „Journaille“ unter Zuhilfenahme einer Fussnote auf besagten Artikels richtig: Es handelte sich natürlich um einen Begriff des aufbegehrenden Nationalsozialismus, der in der Zeit vor der Gleichschaltung geprägt wurde. Hätte man wissen können.

Das in Deutschland wieder mit Polemik und Persönlichem Politik gemacht wird, und das ausgerechnet Herr Zastrow wieder die Feder führt, macht mich wütend; das in Zeiten in denen das erste Mal überhaupt einer rechtsextremen Terrorzelle der Prozess gemacht wird anstatt das die organisierte rechte Kriminalität als poltiisch unmotivierte und Einzeltäter abgetan werden, macht mich wütend; das unter Zuhilfenahme von im Dritten Reich zur Diskreditierung seines Berufsstandes gebrauchten Begriffs herangeführt und der auch noch einem Sozialdemokrat zugeschriebne wird, das macht mich wütend.

Wenn wir Blogger heutzutage den Begriff „Qualitätsjournalismus“ benutzen, um etwas wie „Journaille“ auszudrücken, nämlich einen Mob der schreibenden Zunft, der sich zur Aufgabe gemacht hat zu richten statt zu berichten, dann ist schon schlimm genug, so viel bin ich gern selbstkritisch bereit zuzugeben.

Dennoch entspricht es eben leider gelebter Unternehmenskultur in den sich mit uns Sozialdemokraten besonders kritisch auseinandersetzenden Publikationen, das Streit sich noch besser sell’t als Sex. Da die FAZ sich noch zu schade ist für ein „Mädchen auf Seite 1“, müssen zur Zeit eben andere zündende Themen zündeln, im Zweifel eben das Innen- und Privatleben der sich um das zweithöchste Amt bewerbenden Person. Und das in sehr vielschichtiger Weise, nämlich in Form der falschen Zuordnung des Begriffs „Journaille“; dadurch die Qualifikation für das Amt Peer Steinbrück qua seines Umgangs mit dem von der Presse aufgebauten Drucks in Frage zu stellen; mit Hilfe der im Artikel unterschwellig transportierten Paranoia, nach der wir Sozialdemokraten uns seitens der Presse ungerecht behandelt fühlen sollen; durch allerlei Interpretation des den Tränen nahen Peer Steinbrück; und letztlich der fahrlässige der Umgang der FAZ und BILT mit unserem Spitzenkandidaten, diesem Bundestagswahlkampf und die vielleicht absichtliche Zuschreibung des Begriff „Journaille“.

Wütender noch als all das macht mich das Peer Steinbrück vor Jahren noch mit seinem „Pest und Cholera“ Zitat dem selben Qualitätsjournalismus dankbar lieferte.

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