Straßennamen: nicht nur viel Schall und Rauch

„Nicht Hindenburg, sondern die deutschen Wähler haben Adolf Hitler zum Reichskanzler gemacht, indem sie seine NSDAP am 6. November 1932 zur stärksten Partei wählten.“ schrieb Dr. Heide M. Bössler in ihrem „Nur Gutmenschen?“ betitelten Leserbrief in der sie zu einem Bericht über die Initiative zu Umbenennung der Hindenburgstraße Stellung nimmt.

Mag sein, das Nicht- und NSDAP-Wähler für Mehrheitsverhältnisse sorgten, die dem Ermächtigungsgesetz zugute kamen. Möchte man aber einzelnen Person benennen, die den Diktator Hitler erst möglich gemacht haben, dann käme Hindenburg, und lange Zeit nichts. Das der letzte Protagonist dieses letzten politischen Laienschauspiel der Weimarer Republik wesentlich zur Machtergreifung beigetragen hat ist unbestritten, das die freiheitlich-rechtliche Grundordnung erst mit Überwindung des dadurch geschaffenen Systems durch Dritte herbeigeführt wurde, weil insbesondere in Darmstadt weit mehr und früher als andernorts NSDAP gewählt wurde, hätte in Darmstadt zu besonders rigidem Umgang mit der braunen Vergangenheit in allen Details führen müssen. Das die Hindenburgstraße nicht zeitgleich mit dem Adolf-Hitler-Platz (heute: Luisenplatz) aus den Stadtplänen getilgt wurde, ist ebenso wenig Schuld der heutigen Politikergeneration wie die nachfolgenden Generationen in Nachkriegsdeutschland Schuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten haben konnten. Sie haben aber zu verhindern das Geschichte sich nicht wiederholt, und an Wallfahrtsorten beginnen Wiederholungen meist: Letztes Jahr hat die NPD auf ihrer „Deutschlandtour“ auf eben dem Luisenplatz gastiert. Diejennigen von der NPD, Alt- und Neonazis als „Gutmenschen“ verunglimpft werden haben verhindert das die 0, Prozent Partei kein Gehör bekam. Das die Antifaschisten sich jetzt schon von Gutbürgerlichen und Konservativen allein wegen des Vorschlags eines verwaltungsrechtlichen Aktes in der Lokalpresse anfeinden lassen müssen spricht Bände über unsere Zivilgesellschaft.

Das nur wenige Tage nach Veröffentlichung der in Leserbriefen kulminierten Wesenshaltung konservativer Geisterfahrer der selbe Streit sich an einer nahezu bedeutungslosen Straße erneut los bricht, und zwar in den Kommentaren zu den Vorgängen um die Beyerstraße zeigt, wie wenig es tatsächlich um die vorgeschobenen Kosten )(Briefpapier und Visitenkarten, Straßenschilder)) und mit einer Umstellung einher gehenden Problemen1 geht, und wie sehr die Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Geschichte die Darmstädter noch umtreibt.

Ich habe beim Kaffee mit Espresso meinem Frust darüber und über die reflexhaften Reaktionen auf einen peinlichen Patzer der Stadtregierung zum Ausdruck gebracht. So schrieb eine „amanda“ beispielsweise das löbliche Vorhaben der Grünen „Symbolitik“ zu. Dabei fängt Antifaschismus auch dort an, wo die konservativen Grünen mit der hessischen CDU kleinere Gassen umwidmen. Mal im Ernst: Wer traut denn ausgerechnet der hessischen CDU zu, SPeerspitze des Antifaschismus zu sein. Eben. Insofern gehört den mutigen Grünen großes Lob, ausgesprochen, in der Lokalpolitik mal ein Zeichen dagegen zu setzen. Deshalb schrieb ich:

Antifaschismus ist keine Symbolpolitik, du „Amanda“, Antifaschismus ist kein Fall für den Verfassungsschutz, liebe hessische CDU. Es wird Zeit, das die Menschen hierzuland wieder mehr Zeit füreinander finden, anstatt dafür einen Verwaltungsakt gutzuheißen. Der Vorgang mag irritieren, aber er taugt nicht einmal zum Skandälchen. Das in unserem Darmstadt Glatzen mit Walhalla-Bomberjacke und Springerstiefeln Propagandamaterial der NPD verteilen, darum sollten wir uns kümmern, das ist Antifaschismus, der stände auch dem Verfassungsschutz gut zu Gesicht. Stattdessen, so auch in Hessen: Fördert er was er bekämpfen soll – eine Schande.

Dann schrieb ein gewisser „Silverwing“ »Wie wäre es mit Turnvater Jahn. Hat er nicht die deutsche Jugend mit seiner Bewegung auf den Kampf gegen die napoleonische Besetzung vorbereitet?«, verglich also Hindenburg mit Jahn, demnach Napoleon mit Hitler. Da war dann das Adrenalin in der Blutbahn auf Siedetemperatur. Ich schrieb dem Silberflügel, der sein Pseudonym wohl aufgrund seiner Haarfarbe gewählt hat:

Napoleon mit Hitler zu vergleichen, Silverwing, dann noch die bei Rechten Demokraten gegenüber gebräuchliche titulierung als „Gutmensch“, ich sehe eine finstere Weltanschauung, ich sehe schwarz/braun.

Und schließlich meinte noch jemand das Echo sei zum »zum Sprachrohr der DKP und des türkischen Arbeitervereins« geworden, und also war ich unvermittelt auch noch auf der Seite des sonst gern kritisierten Darmstädter Echo, das zwar mal wieder aus einer Fliege einen Elefanten zu machen versuchte, aber ansonsten ordentlich über den Vorgang berichtet hatte. Endgültig von so viel Geschichtsvergessenheit entsetzt schrieb ich:

Man kann die DKP mögen, die meisten tun es nicht, viele nehmen sie nicht ernst, aber sie auf eine Stufe mit Kommunisten zu senken, die der Weimarer Republik zusetzten? Diese ewigen Diskussionen über die Tilgung mittelbaren nationalsozialistischen Gedankenguts aus dem Stadtbild zeigt nur eines: Es gibt genug, die der Pickelhaube Hindenburg und den anderen Helfershelfern Hitlers auch heute noch einen Platz einräumen, und zwar nicht nur in der Geschichte.

Und meine Parteifreunde mögen mir verzeihen, ich weiß das mindestens ein Vorstoss zur Änderung des Straßennahmen bei der Hindenburgstraße unternommen wurde, dennoch: Es wäre fast siebzig Jahre Zeit gewesen, mit dem Reichspräsidenten abzurechnen. Das jetzt ein Prüfauftrag erteilt wird, alle Darmstädter Straßennamen zu prüfen, ist zwar der Verdienst auch meiner SPD in der Stadtverordnetenversammlung, das dies noch nicht längst geschehen ist aber das Versäumnis ganzer Generationen von Sozialdemokraten.

  1. Navigationssysteme, Straßenkarten []
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