Südhesse liest Süddeutsche

Mit einem kleinen Experiment möchte ich belegen, das die Tageszeitungskrise vor allem eines ist, nämlich hausgemacht. Das zur täglichen Zeitungslektüre nötige Material beschaffe ich mir gratis, und zwar in Form kostenloser Probeabonnements, die die meisten Tageszeitungen jedem halbjährlich für zwei Wochen kostenlos im Briefkasten hinterlegen. Demnach müsste ich 13 Tageszeitungen finden – jedes halbe Jahr hat 26 Wochen, jede Zeitung kommt zwei Wochen lang. Den Anfang machte der Traditionalist unter den konservativen Tageszeitungen, in Frankfurter a.D. liest Allgemeine Zeitung hatte ich zwar weit ausgeholt, meine Kritik war dann aber viel zu weitschweifig. In meine Urteil über die Süddeutsche werde ich mich anhand dreier Artikel auf drei Kritikpunkte beschränken.

Das Dach der Welt1 erzählt in reicher Bildersprache von einem der berühmtesten Bilder, seiner Geschichte und seinem Urheber, Hubert van Es. Der fotografierte 1975 den flüchtenden CIA, der vom Dach des Hauptquartiers im damaligen Saigon per Hubschrauber evakuiert wurde. Und darin liest man, das es dem Land, das die Amerikaner zu befreien vorgaben, erst durch eben diese „Befreiung“ vom „Imperialisten“ zum heutigem Vietnam kam: Vietnam lebe in bescheidener Wohlstand, und van Es danach in Hong Kong – bevor er vor etwa zwei Jahren verstarb. Das inzwischen Corbis die Bildrechte erworben habe, und damit Bill Gates das Bild seiner Antologie hinzugefügt habe, erfährt man – und zumindest ich musste erstmal nachschlagen das es sich bei einer Antologie um »eine Sammlung ausgewählter Texte verschiedener Autoren oder eine themenbezogene Zusammenstellung aus literarischen, musikalischen oder grafischen Werken« handelt. Das man es auch einfacher formulieren kann, noch zudem auf Seite 3 und nicht im weiter hinten im „Großen F“, darauf scheint der Autor deshalb nicht gekommen zu sein, weil er das Bild würdigen will. Dann liest man, das sich jemand White Christmas ausgedacht habe, um den 1975 noch in der Hauptstadt verbliebenen Auswärtigen zu signalisieren, das „die Stadt gefallen“ – und also in die Hände der Einheimischen, aber eben der kommunistischen Einheimischen – sei. Das man sich geradezu vor Augen führen kann, ist dem Autoren Arntz nun doch hoch anzurechnen, beispielsweise durch folgende Bildersprache »Dort, wo einst die Kriegskorrespondenten zu viel tranken, tun das heute Touristen, asiatische Bands spielen brasilianische Musik. Alles ganz friedlich, auch bei ein paar Takten von „White Christmas“ würde man sich nicht mehr denken als: was für ein Kitsch in dieser Hitze. Damals aber, im April 1975, hätte „White Christmas“ im Radio schiere Panik ausgelöst, es war die Erkennungsmelodie, die den Amerikanern sagen sollte: Die Stadt ist gefallen, raus hier! „Frag‘ bloß nicht, welcher Idiot sich das ausgedacht hat“«, wird van Es nach dem Krieg abschliessend zitiert. »Landeplätze für Helikopter? Das ist heute nichts besonderes mehr in Ho-Chi-Minh-Stadt.« weist eine Zwischenüberschrift. Damals aber habe das Gebäude für diesen Zweck extra noch baulich verändert werden müssen. Letztlich bleibt dem Leser neues Füllmaterial für Smalltalk, und der Fakt das erst die bösen Kommunisten das ganze Land erobern mussten, um daraus eine prosperierende Wirtschaftsnation zu machen.

Out of Oggersheim2 wird eingeleitet, indem zunächst ein kompletter erster Absatz aus Blogs zusammenzitiert wird, ohne Quellenangabe selbstverständlich: »Im Internet wird bereits heftig diskutiert: Ein Denkmal für den einstigen Bundeskanzler Helmut Kohl auf dem Dresdner Neumarkt? Die Blogs beben vor kritischen Kommentaren. Da wird das bekannte Kohl-Zitat von den „blühenden Landschaften“ bemüht – sicher könne man den Kanzler mittels „ein paar Kohlpflanzen“ in einer Grünanlage darstellen. Ein Denkmal mit Büste und Konterfei jedenfalls sei allenfalls gut für ein tägliches „Pranger-Event“: zu bewerfen mit „wechselnden Gammelgemüsesorten“.« Wer eine Suchmaschine bemüht, kommt anhand der Zitate alsbald auf den originären Blog-Beitrag und stellt überrascht fest: Die „heftige“ Diskussion gab es tatsächlich, allerdings „bereits“ zwei Monate zuvor.

Geschlagene Verbindung3 Den Titel zieren drei Burschenschaftlern in ihren Paradeuniformen. Hier ist die Rede von einer verfolgten Minderheit, die sich Antifaschisten ausgeliefert beschreibt. Von 100 Angriffen auf Burschenschaften insgesamt, und das bundesweit ist die Rede. Und das „die Antifa“ willkürlich vorgehe, ja sogar der Bequemlichkeit halber vorzugsweise Burschenschaftshäuser in ihrer näheren Umgebung attakiere. »Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann das Recht, anderen Leuten zu sagen, was sie nicht hören wollen.« wird George Orwell von Burschenschaftlern zitiert. Besonders daran: Orwell war „bekennender Sozialist“, und genau das wird herausgearbeitet. Das damit beim Leser etwas bewirkt werden soll, beispielsweise politisch in allen Richtungen offene und nicht von Rechten vereinnahmte Burschenschaftler und Verbindungen als den Standard zu suggerieren, darf vermutet werden. In einer Stadt mit 30 Verbindungen lebend kann ich jedenfalls feststellen: Burschenschaftler sind in Darmstadt politisch nur einmal in Erscheinung getreten, sich selbst als Opfer von Antifaschisten gerierend, die deren Kongress in der Orangerie vermutlich nicht ohne guten Grund belagerten. Da vertraue ich mal auf meine Intuition und den Antifaschisten, und misstraue den hinter verschlossenen Türen und Polizeisperren kauernden Burschenschaftlern mit ihrer verschwörerischen Attitüde. In einer Partei wie meiner, die sich sogar zu einem so genannten Unvereinbarkeitsbeschluss für bestimmte Burschenschaften hinreißen lies, weil deren offenkundiger Hass und revisionistischer Alltag nicht einmal zu deren Verbot führt, fühle ich mich deren Geschichte mindestens ebenso verpflichtet wie die schlagenden Verbindungen in der Nachbarschaft sich ihren Traditionen verpflichtet sehen und sie an der Heimbar zelebrieren. Das man deshalb nicht alle Burschenschaften über einen Kamm scheren darf, ist klar. Das dem gegenüber ein einseitiger Leitartitel nicht das Mittel zur Aufklärung und Versöhung beider Partien ist, sondern lediglich der Stigmatisierung mit Hilfe der Stigmatisierung des Gegenüber …

Das hat gereicht. Nach einem derart unausgewogenen und dem vorangegangenen großzügigen Zitat ohne Quellenangabe war meine Geduld erschöpft. Damit war dann auch die Verköstigung der Süddeutschen für mich vorbei.

  1. Die Seite Drei vom Freitag, 21. Januar, – ’natürlich‘ Seite 3 []
  2. Panorama, Samstag 22./Sonntag 23. Januar, Seite 12 []
  3. Wochenende, Samstag 22./Sonntag 23. Januar []
Twittern Südhesse liest Süddeutsche via Twitter kommentieren

Ad Blocker Blocker Blocker!

Sie haben keinen Ad Blocker aktiviert, möglicherweise weil sie Kostenloskulturkritiker hereingefallen sind.

Ad Blocker Blocker schaden der geistigen Gesundheit, denn sie verblöden den Kostenloskulturkonsumenten.

Geben sie Ad Blocker Blockern keine Chance.

Installieren sie noch heute uBlock oder ähnliche!