retabuisieren

Mit dem Titel »Deutsche Blamage – wir und Norwegens Tragödie« geht Deutschlands größte kostenlose Tageszeitung1 ungewohnt selbstkritisch mit der eigenen Berichterstattung ins Gericht, damit und mit der darauf folgenden Wortschöpfungen retabuisieren dürfte BILT in die Analen des Qualitätsjournalismus vorgedrungen sein.

»Großartig, endlich ist der textlastige Ableger des Boulevardblättchens mit den vier großen Buchstaben zur Besinnung gekommen!«? Leider zu früh gefreut, im Anschluss an jene sechs Worte starke Selbstkritik folgt vor allem: Kritik an Dritten. Nein, nicht etwa an der Meute rechtskonservativer, rechtsextremer und schlimmerer Kommentatoren, sondern an – im O-Ton – „Intellektuellen“, „linke Migrationsfantasien“, „Hinterbänkler“ „im Sommerloch“ und „sonst gerne Übersehenen“. Und damit keine Zweifel aufkommen, wen Kommentator Ulf Poschardt gemeint hat, zählt er noch im selben Atemzug den – namentlich ungenannt bleibenden – innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion mit seiner Forderung nach irgendwie gearteter Vorratsdatenspeicherung ebenso wie – namentlich aufgeschlüsselt – Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), Andrea Nahles und Sigmar Gabriel (beide SPD) mit konkretem Wunsch nach engagierterem Kampf der Regierung gegen Rechtsextreme, einem neuen Verbotsverfahren wider der NPD und schärferen Waffengesetzen. Klar das „linke“ Phantastereien wie Minderjährigen, jungen und nicht mehr ganz so jungen Erwachsenen den Zugang zu Waffen zu erschweren, eine höchstwahrscheinlich gegen die Rechts- und Grundordnung unseres Landes gerichtete Partei sowie organisierten Rechtsextrmismus im Allgemeinen mit Engagement zu begegnen, nicht uneingeschränkt gut angekommen sind, zumal ein nicht ungewichtiger Teil der Zugriffszahlen2 Kommentatoren aus dem rechtskonservativen bis -extremen Bereich sind, denen der Autor offenkundig gefügig sein möchte.

Mir jedenfalls kommt beim Lesen das kalte Kotzen, freundlich ausgedrückt um nicht den Appetit zu verderben. Den will ich auf, im Gegensatz dazu, lesenswerte Kritiken dieses, des deutschen Journalismus zutiefst unwürdigen, Pamphlets, begegnen, hier also meine dringenden Empfehlung stattdessen:

Diese Liste will ich fortsetzen, denn so viel steht fest: Über diesen Sondermüll der deutschen Presselandschaft werden noch viele Kritiker Worte verlieren, wenngleich es der Qualität dessen widerspricht. Aber über atomaren Sondermüll wird ja auch schon seit dreißig Jahren gestritten, bis sogar die Konservativen Vernunft annahmen und auf den Atomausstieg aufsprangen.

PS: Retabuisieren ist mein Tipp für Unwort des Jahres.

  1. derzeit in vielen Hauptbahnhöfen, über das Internet uneingeschränkt zugänglich oder als Bordexemplar []
  2. ausweislich der überwiegend eindeutig zuzuordnenden Kommentare auf themenrelevante Artikel []
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