* 27.09.98, † 27.09.09

11 Jahre auf den Tag genau dauerte der Sinkflug der von der Parteispitze in Geiselhaft genommenen Sozialdemokratie. Eine Zeit in der sich Selbstfindung verbot und Karrierechancen abhängig von der Zugehörigkeit zum rechten oder „pragmatischen“ Parteiflügel war, und nicht zuletzt eine Zeit in der sich die Mitgliederzahl halbiert hat.

Derzeit findet deshalb wieder einmal ein Neustart der Sozialdemokratie statt, in der zwar nicht die selben Köpfe wie bisher gewählt werden, dafür ihre Wasserträger. Einer der Wasserträger, der bislang weitgehend unbekannte Gabriel, vollbrachte heute in Spielflimlänge großes Kino™, vereinnahmte 94,2 Prozent der Delegierten für sich. Problem hieran ist nur, das im Gegensatz zu den vorangegangenen Wochen hier wieder nur das Establishment der Partei entscheidet, nicht dessen Basis. Wo nämlich der Spitzenkandidat vielleicht nicht konsequent basisdemokratisch herausgedeutet werden sollte – um Fehlgriffe wie Scharping zu verhindern – täte es beim Vorsitzenden vermutlich der Parteiseele gut. So entscheiden wieder nur „vermachtete Strukturen“, wie es Andrea Ypsilanti kürzlich auf den Punkt brachte. Von den Delegierten aus meinem Umfeld beispielsweise reist die Mehrzahl nach der Stimmabgabe für Gabriel wieder ab, beliebte Praxis bei strammen Parteisoldaten und Erklärung für die leeren Sitzungssääle vor allem am Ende von Parteitagen.

SPD-Parteispitze anno 2009Mein vorgestern erzeugter Mashup zweier flickr-Bilder zeigt Andrea Nahles, vormals Parteilinke, zukünftig ganz Parteisoldatin als Generälin, sowie Sigmar Gabriel aus der Leitung des rechten Seeheimer Kreises und maßgebliches Mitglied im Netzwerk Berlin, nunmehr Parteivorsitzender, neben ihm die graue Eminenz des Seeheimer Kreises, Kahrs. Das Bild spiegelt das gestern gewählte, ach so demokratisch legitimierte neue Machtgefüge wider, Gabriel und Kahrs soufflieren, Nahles serviert, und wenn die Suppe einmal versalzen ist, darf der Kellner sie auslöffeln, im schlimmsten Fall wird der Koch gerufen, aber die „vermachteten Strukturen“ bleiben unangetastet. Damit vollzieht sich dann, was ich schon eine ganze Weile beobachte: Parteispitze, rechter Seeheimer Kreis und Netzwerker haben die Partei derart unter ihre Kontrolle gebracht, das trotz der desaströsen Wahlausgangs keine wirklichen personellen Konsequenzen aus der Katastrophe gezogen werden, im Gegenteil werden aufgrund einer flammenden Rede, an der vermutlich Dutzende mitgewirkt haben und die über Wochen einstudiert wurde, sozialistische Ergebnisse Realität, noch bevor die Diskussion überhaupt begonnen hat.

Die erweiterte Isolation, in die die 94,2 Prozent der Delegierten unsere Partei verbracht haben ist vergleichbar mit der, in die sie die Partei dadurch führen, nämlich in eine Sackgasse. Je mehr Flügel, Klüngelrunden und undemokratische Entscheidungen vollzogen oder etabliert werden, desto weniger wird die Parteibasis ihr Vergnügen an ihrem Status als Plakatekleber und Infoständler haben.

Drei Tage lang soll über die vergangenen etwas 4000 Tage Regierungsbeteiligung und die vorangangenen dreißig Jahre Niedergang der Sozialdemokratie, und Konsequenzen aus der nunmehr auch von der Parteispitze so genannten Krise der SPD beraten werden – die Basis soll sich mal richtig auskotzen können, schreiben darüber die wie üblich gut informierten Mainstream-Medien, die das wiederum aus der „Parteitagsregie“ erfahren haben wollen – viel heiße Luft, Betätigung alter Beißreflexe oder etwa Anzeichen für den Fortbestand der kritisierten Methoden. Jene versammelten Delegierten haben sich wieder einmal einen Vorsitzenden diktieren lassen, und einen weitgehend unkritischen Leitantrag verabschiedet. Aus den Änderungsanträgen, die hierzu eingegangen sind, läßt sich ableiten wie gern man doch sofort zur Tagesordnung übergegangen wäre, wie viel Selbstverständliches und Selbstkritisches hier erst hinzugefügt werden musste, ist im entsprechenden Initiativantrag nachzulesen. Gern wäre man auch personalpolitisch schnell zur Tagesordnung zurückgekehrt und hätte den nächsten Parteivorsitzenden innerhalb kurzer Frist bestimmen wollen, aber auch hiergegen regt sich Widerstand. Zwar hat sich Sigmar „Siggy Pop“beauftragter Gabriel nicht verhindern lassen, doch wird der 13. kaum der letzte SPD-Vorsitzende – es sei denn, er richtet die Partei jetzt konsequenz zu Grunde.

»* 27.09.98, † 27.09.09« steht übrigens für den fullminanten Wahlsieg von SPD und Grünen am 27. September 1998, und den fullminanten Wahlsieg von SchwarzGelb am selben Tag diesen Jahres, dem 27. September 2009.

Bildnachweis: Mashup aus spd-sh und
68697428@N00 alias Johannes „Ich hab das Web 2.0 noch nicht verstanden-Büromannschaft“ Kahrs

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